Pflege und schweig.

Ich wurde vor ein paar Tagen gefragt, warum ich über Paula und ihre Demenzerkrankung, das Pflegeheim und mich selber blogge.

Gute Frage.
Die Antwort vor ein paar Monaten wäre gewesen: weil ich nicht anders kann, als darüber zu schreiben, was mich bewegt und mir die (ausgesprochenen) Worte raubt.

Heute lautet die Antwort anders: Weil ich es will.

Im Nachhinein bin ich etwas ratlos über diese Frage. Habe ich in irgendeiner Weise damit wohl Paulas Persönlichkeit verletzt? Habe ich meine Familie bloss gestellt?
Nein. Die Wahrnehmung einer Krankheit und die Beschreibung meiner Erfahrungen ist keine Beleidigung, sondern das Gegenteil davon.

Die letzten Jahre und Monate, eigentlich seit 1997, habe ich für meine Oma geschaut. Ich habe sie besucht, für sie Lebensmittel, Kohlenbriketts und Katzenfutter eingekauft, ihre Wäsche gewaschen, ihre Kleider geflickt und den verteilten Müll in ihrem Garten zusammen gelesen. Ich tat dies in meiner Freizeit, die bei einem 100% Job rar ist. Ich habe die Veränderung ihres Wesens mitbekommen, ihre Krise, ihre Wut, ihre Trauer, ihre Verwirrtheit und immer seltener, ihre Freuden.
Ich war damit alleine, denn für mich ist sie ja noch immer Paula, meine Oma, die älter als ich und mehr vom Leben weiss. Dass plötzlich ich diejenige war, die alles zu entscheiden hatte, war schwer für mich.

Ich war mir sicher, dass es einigen Menschen so ergehen muss. Als Angehörige eines Demenzkranken wird man traurig und einsam. Ich hatte ja Glück. Ich konnte jeweils wieder gehen. Die Spitex sorgte noch für sie. Doch was ist mit all jenen Angehörigen, die ihre Arbeit aufgeben (meistens Frauen!!), die ihr soziales Umfeld langsam verlieren und nur noch für ihren kranken Verwandten herumrennen? Wer spricht von diesen Menschen? Wer beachtet sie? Kennst du, lieber Leser, jemanden, der seine Angehörige pflegt und noch grossartig am sozialen Leben teilnimmt?

Ich schreibe dieses Blog als Wertschätzung für meine liebe Paula und für alle jene Menschen, die nicht über ihre Erlebnisse mit demenzkranken Angehörigen schreiben können. Ihnen gebührt mein Respekt und meine Verbundenheit.

2 Gedanken zu “Pflege und schweig.

  1. Als meine Mutter dement wurde, war ich die erste, die es bemerkte, später wollte ich öffentlich darüber schreiben, wie ich sie aktiviere und in ihrer Krankheit begleite, weil das Thema so viele Familien/ Menschen betrifft. Jedes Engagement von mir wurde zurückgestossen: Ich bot Brigitte-Woman meinen Blog an, ich bot der BernerZeitung meine Kolumne an, ich war in Verhandlung für ein Buch mit dem Zytglogge-Verlag. Ich wurde zurückgestossen bis ich verstummte. Nur hier auf Facebook konnte ich mich öffnen und fand Interesse und Anteilnahme für diese Geschichte. Umso dankbarer bin ich jetzt für den Blog von Zora Debrunner, die sich nicht abhalten lässt. Danke!

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  2. Ich habe von meiner Mami den Link zu deinem Blog bekommen. Ich kümmere mich viel um meinen Demenzkranken Opa…als einzige in der Familie, von den Kindern (Vaterseite) bekomme ich nur Ablehnung und Drohungen. Dein Blog ist super, auch wenn ich noch nicht mal annähernd durch bin. Es sind soviele Situationen die ich kenne und bei denen ich mich manchmal frage, ob ich richtig reagiere. Ich hatte vorher nie etwas mit Demenzkranken zu tun, und es ist schön zu lesen, dass andere die gleichen Situationen erleben.

    Danke dafür

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