Die Nachthemd-Herausforderung

Gestern kriegte ich in meinem Nähkurs eine sehr spezielle Situation mit, die mich noch bis spät in die Nacht beschäftigt hat.

Seit einigen Jahren gehe ich in einen Nähkurs, der von einer Hauswirtschaftslehrerin geleitet wird. Das tolle an diesem Kurs ist, dass die Atmosphäre entspannt und arbeitsam ist. Das Angebot wird mehrheitlich von Frauen Mitte 50 bis 70 wahrgenommen, aber immer mal wieder kommen auch jüngere Frauen, die gerade Kleider für ihre Kinder nähen.

Für mich ist der Kurs eines der wenigen Hobbies, welche ich mir so planen kann. Beim Nähen kann ich mich entspannen.

Gestern sass hinter mir eine ältere Frau, die nur ausnahmsweise in den Kurs kam. Sie hatte mehrere Barchetnachthemden mitgebracht, die sie unter Anleitung der Lehrerin abänderte. Ich kriegte mit, dass die Kleider ihrer demenzkranken Mutter gehörten.

Ich war neugierig und fragte die Frau, warum sie die Hemden zerschneide. Sie antwortete mir, dass ihre Mutter eigentlich immer lieber Pyjamas getragen habe. Nun, da sie schwer pflegebedürftig sei, müsse sie Nachthemden tragen. Da die Mutter aber plötzlich nachts stark schwitze, bewege sie sich mehr im Pflegebett, so dass es bei einem normalen Hemd Falten gäbe, die sich auf ihre Haut auswirkten.

Aus diesem Grunde hatte die Pflegefachfrau sie gefragt, ob sie die Nachthemden der Mutter abändern könne. Sie sollte auf dem Rückenteil den Stoff aufschneiden, damit der Rücken frei liege. Die Arme sollte sie weiten, damit die Pflegenden sie der Mutter besser anziehen könnten.

Ich war konsterniert.
Einerseits fand ich es schade, dass die Mutter, die wohl gerne Pyjamas getragen hatte, nun Nachthemden tragen musste. (Wie kommt das wohl mal raus, wenn ich ins Pflegeheim gehen sollte?? Ich schlafe nackt!!)

Andererseits fand ich es schön, dass die Tochter zumindest die gewohnten Kleidungsstücke der Mutter abänderte. Strange fand ich, dass dem Komfort der Pflegenden soviel Gewicht gegeben wurde. Meiner Meinung nach stellt es kein Problem dar, einer pflegebedürftigen Person ein nicht abgeändertes Kleidungsstück anzuziehen.

Fragen über Fragen…

2 Gedanken zu “Die Nachthemd-Herausforderung

  1. Ich gehe davon aus, dass mit „schwer pflegebedürftig“ zum Beispiel gemeint ist / sein könnte:
    *Blasenkatheter
    *Inkontinenzeinlagen
    *Dekubitus
    *Ulcus cruris

    Mit einem Schlauch zwischen den Beinen kann man wirklich keine Pyjamahosen tragen. Dasselbe bei Inkontinenzeinlagen, die nachts eventuell auch mehrmals gewechselt werden müssen. Bei einem Ulcus Cruris, häufige Erkrankung im Alter, können keine Pyjamahosen getragen werden.

    Die Bewohnerin wird auch weniger wach werden, wenn die Pflegenden nachts die nötigen Handreichungen ausführen ohne dass Pyjamahosen ausgezogen werden müssen.
    Meine Erfahrung ist, dass Bewohner im Nachthemd oft einfach weiterschlafen oder weiterdösen, wenn man nicht allzuviel am Bewohner / an der Bewohnerhin herumzerren muss. Mit Hosen muss die Bewohnerin mehrmals gedreht werden, was je nach körperlicher Einschränkung sehr unangenehm für alle sein kann. Wenn die Bewohnerin stuhlinkontinent ist, ist es mehr als unangenehm für alle, die verschmutzten Pyjamahosen aus zu ziehen.

    Ich finde es schön, dass die Tochter die alten Hemden ändert. Meistens bekommen die Bewohner in den Pflegeheimen ein Ottonormalnachthemd- praktisch zum Waschen (90°C ) aber ungewohnt und unbequem. Die eigenen Barchenthemden tragen zu können, den gewohnten Stoff auf der Haut spüren zu können, die bekannten Muster anschauen zu können kann viel zur Lebensqualität beitragen.

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  2. Auch für die Ärmel gibt es eine rationale Erklärung, sollte eine Infusion liegen, kann so schmerzfrei und ohne Schwierigkeiten das saubere Nachthemd angezogen werden.

    Und Druckgeschwüre, die auf Falten zurückzuführen sind, sind sehr langwierig in der Behandlung.

    Aber selbst Männer bekommen dann einfach OP-Hemden an.

    Und DA finde ich die Pflegefachkraft rücksichtvoll. Der Ratschlag ist machbar und ein ördentlicher Eindruck für die alte Dame bleibt bestehen. So ein OP-Hemd ist in meinen Augen nicht würdevoll.

    Und mach Dich bitte nicht verrückt, was mal sein wird, wenn es eventuell, ganz vielleicht, irgendwann mal bei Dir so weit sein könnte (ja, gaaaaanz viel Konjunktiv! 😉 )

    Das wird dann die Zeit zeigen, was dann nötig ist. 😉 💡 😉

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