Hilfe annehmen

Eines der zentralen Themen, wenn ein Mensch älter (und vergesslicher) wird, ist die Hilfestellung. Niemand mag sich vorstellen, dass er von einem anderen abhängig ist. Es ist schlicht schlimm, daran zu denken, dass man plötzlich Hilfe bei alltäglichen Dingen brauchen könnte.

Das war bei Paula genau so.
Wie hätte ich, die Enkelin, meiner Oma befehlen können, Hilfe anzunehmen?
Paula war immer selbständig. Sie war die, die geholfen hat. Nicht umgekehrt.
Aber die Veränderung des Älterwerdens führte schliesslich dazu, dass sie sich damit auseinandersetzen musste.

Es fing vor bald 10 Jahren an, als sie einen starken Rheumaschub in den Händen hatte. Sie konnte sich fast nicht mehr bewegen, nicht mehr einkaufen gehen und auch nicht mehr selber kochen.

Die Hilflosigkeit als Angehörige war riesig. Was sollte ich tun?
Ich lebe 1 Autofahrstunde von ihr entfernt. Kochen auf Vorrat wäre eine Möglichkeit gewesen, aber bei meinen Arbeitseinsätzen schlicht ein Ding der Unmöglichkeit. Ich hätte mit dem Arzt reden sollen, aber das wollte Paula nicht.
Der Arzt verordnete ihr Spitex und Mahlzeitendienst. In meinen Augen war das eine Möglichkeit, Paula so lange wie möglich in ihrem Haus schalten und walten zu lassen.

Hier kommen wir zu einem weiteren Punkt: auch wenn ein Mensch eine beginnende Demenz hat, bedeutet das nicht, dass er keine Entscheidungen mehr treffen kann. Für mich war das immer das wichtigste: ich würde nichts tun, was meine Oma nicht will.

Meine Strategie war Überzeugen, immer wieder ansprechen und Verantwortung abgeben. Mehr als einmal habe ich ihr gesagt: „wenn du deinen Notfallknopf nicht trägst und verunfallst, werde ich dir nicht helfen können.“
Es war ihre Entscheidung, ihn nicht zu tragen – und ihr gutes Recht.

Natürlich denke ich oft daran, ob sie nicht hätte früher ins Pflegeheim gehen sollen. Wie viel Ängste wären ihr (und mir) erspart geblieben?

Dennoch denke ich, dass das höchste Gut eines Menschen die Freiheit bzw. die Selbstbestimmung ist. Ich habe immer gespürt, dass sie die Kontrolle über ihr Leben haben will. Da kann man auch als junge Frau nicht einfach kommen und sagen: So. Fertig! Jetzt lässt du dir helfen.
Im Gegenteil.

7 Gedanken zu “Hilfe annehmen

  1. Ich bin auch für Selbstbestimmung – so lange es geht und so viel wie möglich. Die Grenze liegt bei mir da, wo andere gefährdet werden. Bei meiner Mutter war der Punkt erreicht, an dem ich eingreifen mußte, als die Feuerwehr mit zwei Löschzügen anrückte – von Nachbarn verständigt – weil es in der Küche meiner Mutter brannte. Sie hatte das Essen auf dem Herd vergessen. Da war dann auch eine Grenze bei den ansonsten sehr hilfsbereiten Nachbarn überschritten.

    In der Angehörigenselbsthilfegruppe habe ich immer wieder erlebt, daß der Umgang mit dem Autofahren ein sehr schwieriger war.

    Es gehörte für mich zu den schwierigsten Situationen – ich hatte die gesetzliche Betreuung, daß ich mein Einverständnis schriftlich erklären mußte, ob und gegen was meine Mutter geimpft wird, daß sie beim Ausflug zum Tierbauernhof teilnehmen darf etc. Es war emotional unglaublich anstrengend.

    Ich wünsche Ihnen und Paula alles Gute.

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  2. Paula kann (zum Glück!) nicht Autofahren. Ich werde die gesetzliche Betreuung genau aus diesen Gründen nicht übernehmen, da ich für sie da sein will. In der Schweiz gibt es Beistände. Diese Personen übernehmen dieses Amt. Paula wird mitreden können. Das ist für mich wichtig.

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  3. Und was, wenn sie Entscheidungen trifft, die du nicht (mehr) mittragen kannst? Wenn die Entscheidungen, die sie trifft, Auswirkungen auf dich, deine Freizeit, dein Geschäft und deine Gesundheit haben? Darf man dann einfach sagen: OK, das ist deine Entscheidung – schau zu, wie du mit den Konsequenzen leben kannst, aber ruf mich nicht an, wenn’s schief geht? Und sag auch nicht allen anderen, sie sollen jeweils bei mir anrufen? Und wenn ich mal Zeit habe, komme ich auf einen Kaffee vorbei … wie kann man das?

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  4. Meine Mutter war irgendwann körperlich nicht mehr in der Lage, sich selber zu versorgen.

    Da sie schwer erkrankte, landete sie im Krankenhaus. Der Weg ins Pflegeheim folgte zwangsläufig, da sie nicht stabil wurde.

    Nun lebt sie seit 2 Jahren bei mir. Kann ihren Alltag so ziemlich selber organisieren. Aber vollkommen autark geht leider absolut nicht mehr. Körperlich geht es einfach nicht.

    Aber die Entscheidung über diesen Zusammenzug hat sie erst treffen können, wie nichts mehr ging. Leicht ist es ihr bestimmt nicht gefallen.

    Aber von mir kam ein eindeutiges SO oder SO aber so wie vorher geht NICHT!

    Es war für uns beide eine schwere Zeit. Heute können wir beide gut damit leben. Zwar nicht unbedingt immer einfach, aber wir haben einen Weg gefunden.

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  5. Es war bei uns ähnlich. Jedoch war immer für sich klar, dass ich sie nicht pflegen und aufnehmen muss. Am liebsten wäre sie in ihrem Haus gestorben. Erst als sie bemerkte, dass jetzt dafür nicht die Zeit ist, hat sie sich mit dem Heim auseinander gesetzt.

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  6. Wegen der Pflege hier bei mir haben wir beide ziemlich mit uns gehadert.

    Aber das Pflegeheim wo sie war, war für sie einfach nur schrecklich und für mich auch.

    Sie konnte dort halt einfach nicht mehr sie sein.

    Vielleicht liegt es auch daran, dass sie nicht dement sondern nur körperlich stark eingeschränkt ist.

    Wie es sich in der Zukunft entwickeln wird, ob wir irgendwann die Situation neu überdenken müssen, kann ich heute nicht sagen. Im Moment ist es gut. Für sie, die Kinder, meinen Mann und mich.

    Gemusst habe ich nie. Es war ein Entscheidungsprozess von beiden Seiten.

    Das einzige, was ich definitiv festgestellt habe, dass man hier in Deutschland einen kranken Menschen, der alt ist, nicht alleine zum Arzt lassen darf. Es muss leider immer jemand mit und nach haken.

    Warum das so ist, ist mir unklar, aber es ist leider Fakt.

    Ich kann nur zuraten, ein Pflegeheim gut auszusuchen, es nicht als Abschiebung zu betrachten und diese Möglichkeit immer im Auge zu behalten.

    Weder meine Entscheidung noch ein Pflegeheim muss falsch oder richtig sein. Die Situation gibt einiges vor und auch die Belastbarkeit aller Personen. Und ich habe Hochachtung für jeden, der sich verantwortungsvoll mit der Situation auseinandersetzt und sich klar macht, was es bedeutet die eine oder andere Entscheidung zu treffen.

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