Nationalfeiertagsgefühle

Vor einem Jahr war ich am 1. August sehr verzweifelt. Ich wartete darauf, Paula das Haus abzukaufen und wusste zugleich, wenn sie jetzt stirbt, verliere ich alles. Mir war immerzu unwohl und ich tat mich schwer, zu feiern, obwohl ich den 1. August immer sehr feierlich begangen habe.

Ein Jahr später wundere ich mich nicht, dass ich kurze Zeit später krank geworden bin. Das andauernde Warten, all die Ereignisse der letzten Monate, raubten mir die Kraft. Heute ist das zum Glück anders. Ich kann wieder atmen. Meine Haut bräunt sich langsam. Ich sehe zum ersten Mal die Bäume und Pflanzen um unser Haus wachsen.

Der 1. August war für mich, als ich noch ein Kind war, ein Fest der Farben und der Feierlichkeit. Ich durfte fernsehen, Omi kochte Rösti und Spiegelei und Opa stampfte ums Haus um zu schauen, dass auch ja nichts Brennbares an unser Holzhaus fliegt. Für Opa war dieser Tag jeweils Stress pur und die Spannung entlud sich jeweils spätabends, wenn er fluchend die Nachbarskinder erschreckte. Für meine Schwester und mich aber war alles zauberhaft. Wir zündeten Kerzen an, sangen, streichelten den Hund und trösteten ihn, wenn es vom Geböller laut wurde.

Opa und der Hund leben nicht mehr und ob Omi den 1. August feiern mag, weiss ich nicht. Dieser Tag hat ihr nie gross was bedeutet. Für Opa jedoch war er wichtig. Das hing mit seinen Erfahrungen im Krieg und später im WK zusammen. Er sprach oft darüber, wie sich die Welt rasch verändert hat. Ich denke, für ihn kam alles zu schnell. Er litt unter dem Niedergang der Toggenburger Textilindustrie. Er wurde arbeitslos und fand bis zur Pensionierung keinen Job mehr. Er zog sich in seinen Keller zurück, schreinerte und bastelte an verschiedensten Dingen herum. Im August 1996 wurde er krank und starb anfangs 1997 in seinem Haus an Leberkrebs.

Am 1. August denke an ihn und meinen Thurgauer Grossvater, die alle beide einen Teil ihrer besten Jahre im Dienst verbrachten. Ich denke an ihre Frauen und Familien. Ich bin froh, dass sie es überlebt haben, denn sonst würde ich heute nicht leben. So feiere ich am Nationalfeiertag nicht die Schweiz, sondern ihre Menschen, die dieses Land zu dem machen, was es ist: eine Insel in stürmischer See, ein Ort der Hoffnung und der Menschlichkeit, der Bildung und der Reflektion. Darauf, und dass ich ein Teil davon sein darf, meine Lieben, bin ich stolz.

Fensterladengedanken

Nach fünf Tagen Arbeit haben wir es fast geschafft: die Fensterläden und das alte Gartentor sind frisch gestrichen. Der Unterschied ist gewaltig. Das Haus wirkt mit einem Male frischer. Das Grün der Läden leuchtet.

Irgendwann werden wir die Fassade neu machen müssen. Ich möchte den vanillefarbenen Farbton der Wände und die weinroten Fensterrahmen unbedingt erhalten. Die Farbkombination ist ungewöhnlich und wunderschön.

Es wäre schön zu wissen, wie Omi darüber denkt und ob ihr alles gefällt. Aber ganz im Ernst, ich denke nicht, dass sie noch einmal ins Haus kommen kann. Sie ist nicht mehr gut auf den Beinen. Sie sitzt nicht im Rollstuhl, sondern will selber mit dem Rollator gehen. Doch leider kommen wir mit dem Auto nicht bis zum Haus und die Schritte würden sie zu sehr erschöpfen.

Ganz tief drinnen weiss ich, dass das gar nicht nötig ist. Omi ist mit sich selber im Reinen. Das Haus ist nur eine Hülle. Viel reicher ist ihr Inneres. Sie lebt und denkt und spricht, auch wenn es für mich nicht mehr immer Sinn gibt. Aber ist es an mir, das alles zu interpretieren?

Ich sitze in meinem Atelier und schreibe. Ich bin dankbar, dass ich in diese Räume wieder Leben bringen darf. Ich denke, dass ganz viel von dem, was die Menschen in diesem Haus dachten und taten, noch immer hier ist. Ihr Fleiss, ihr Glaube an sich und das Gute, der Mut, nicht zu verzweifeln und zusammenzuhalten, das alles sind Werte, die mich ansprechen und die mir Kraft geben, wenn es mal nicht so rund läuft.

Es ist Sommer und ich lebe fast dreissig Jahre nach meiner Kindheit hier. Es ist pures Glück und ich weiss es zu schätzen.

Nachtrag: Esther hat mir einen wunderschönen Spruch zukommen lassen, der mein Herz heute sehr erwärmt hat:

Diss Hus ist min, und doch nicht min. Wer vorher da, s`was ouch nit sin. Wer nach mir komt, muoss ouch hinus: Sag lieber Fründ, wem ist diss Hus?

Vom Entmüllen mit Konzept

Die @eifreen hat mich vor einigen Wochen auf twitter angefragt, ob ich einige Tipps in Sachen Entmüllen von Häusern habe. Sehr gerne gehe ich diesem Wunsch in Form eines Textes nach.

Das Entmüllen der Wohnung meiner Oma dauert nun schon mehrere Jahre an. Ich weiss nicht genau, wann wir wirklich damit angefangen haben. Begonnen hat Omi um ca 2009 damit, dass sie mir regelmässig Gegenstände mitgab, von denen sie wollte, dass ich auf sie „aufpasse“ und sie „in Ehren halte“. Die habe ich dann in meinem Auto vom Toggenburg in den Thurgau transportiert. Zu jenem Zeitpunkt ging ich davon aus, dass Omi das Haus verkaufen würde und alles darin bald verloren wäre.

Im Februar dieses Jahres habe ich dann ganz brav wieder alles, was Omi mir geschenkt hatte, zurück ins Haus gezügelt. Das war nicht nur anstrengend, sondern ging schlussendlich echt ins Geld. Zügelunternehmen sind nämlich wirklich teuer!

Das Sortieren des Haushalts ist wohl eine Sache, die man grösstenteils alleine vornehmen muss. Ich jedenfalls konnte dies nicht delegieren. Ich wollte selber entscheiden, was ich behalte und was nicht. Je nach emotionalem Stress reagierte ich nämlich äusserst allergisch auf Sätze wie „Brauchen wir das wirklich noch?“

Es ist so: ich habe für Omis Haus mehrere Jahre geschaut. Mir war klar, dass ich nicht einfach so drauf los entsorge. Schliesslich gehörte alles im Haus meiner Oma. Als dann klar war, dass ich es käuflich erwerbe, überlegte ich mir natürlich, was ich entsorgen muss. Ich wusste, um eine Mulde komme ich nicht herum.

Der Vorteil einer Mulde, es gibt sie in verschiedenen Grössen, ist, dass man alles rein schmeissen kann, was einem grad in die Hände fällt. Als Anhängerin von getrenntem Abfall fiel mir dies anfangs etwas schwer. Ich kann aber versichern, dass es auch sehr gut tut, alten, kaputten Plunder wegzuschmeissen. Wir hatten Glück, dass in unserer Stadt ein wirklich tolles Recycling-Unternehmen sitzt. Die Beratung und die Preise waren perfekt, weil transparent. Eine Offerte einholen lohnt sich!

Und dann gings los: Das unbrauchbare Zeug haben wir im Keller gelagert und gewartet, bis es Sommer wird. Entrümpeln macht im Regen nämlich nur wenig Spass. Bei grosser Hitze jedoch ist es wichtig, dass man frühmorgens anfängt und wenn möglich seine Nachbarn vorwarnt. Es ist nicht jedermanns Geschmack, um sieben Uhr mit Gescherbel geweckt zu werden. Oder aber man bietet der holden Nachbarschaft an, auch noch ein wenig Gerümpel in die Mulde zu schmeissen. Gemeinsames Entmüllen schweisst zusammen. Wenn man viel zum Entsorgen hat, macht es Sinn, Freunde anzufragen, ob sie mit anpacken würden. Handschuhe sind dabei ein Muss!

Ganz wichtig am Schluss einer solchen Entrümpelungsaktion: Feiern!

Schliesslich haben wir über drei Jahre Warten abgeschlossen. Wir haben uns um viele hundert Kilo erleichtert. Der Keller ist wieder begehbar und wir fühlen uns frei und bereit, das Haus weiter zu renovieren.

Lillette gefällig?

Die grosse Streicherei

Nachdem wir gestern den unteren Eingang frisch gestrichen haben, machten wir uns heute an die Fensterläden. Nur soviel: bei den aktuellen Temperaturen sollte frau sich um sieben Uhr aus dem Bett hauen und den Hintern in den Garten bewegen. Alles andere ist einfach nur anstrengend.

Wir kauften uns grüne und rote Farbe. Zuerst war ich mir beim Farbton „grasgrün“ nicht ganz sicher. Doch Sascha hatte das bessere Auge als ich. Grasgrün leuchtet!

So schliffen wir Laden um Laden ab, kratzten mit Spachtel die abgeblätterte Farbe weg und strichen wie die Irren. Der Lack trocknete überraschend schnell und wenn es nicht so heiß gewesen wäre, hätten wir noch viel mehr geschafft. Aber eben: wir haben Ferien. Eis ums ander.

Das alte Gartentor habe ich vor bald 25 Jahren gemeinsam mit Oma frisch gestrichen. Teile der damaligen Farbe haben wir heute abgekratzt. Es ist erstaunlich, dass nach all den Jahren überhaupt noch etwas von dem Holz vorhanden ist! Wir strichen das Tor feuerrot. Ich bin glücklich und gleichsam nachdenklich. Mir scheint, als würde unser Haus nun richtiggehend strahlen. Haltet mich für verrückt, aber ich denke, es wirkt zufriedener und lebendiger als noch vor zwei Jahren.

Omi und ich wollten das Haus verschönern und verändern. Omi durfte, solange Opa lebte, nichts ändern. Sogar das Streichen des Gartentors haben wir uns teuer und mit viel Streit erkämpft. Opa stand, während wir es strichen, daneben und ärgerte Omi. Das tat er solange, bis sie den Pinsel im hohen Bogen davon schmiss. Über ihren derben Fluch mag ich gar nicht mehr nachdenken.

Omi hat erst angefangen mit Renovieren, als Opa, wie es so schön poetisch heisst: zwei Meter unter der Erde lag und die Radiesli von unten anschaute.
Viel hat sie geschafft in den letzten Jahren bevor sie an Demenz erkrankt ist. Ich bin glücklich, dass ich nicht darum kämpfen muss, etwas zu verändern. ich kann es, weil ich es will. So habe ich mir heute vorgestellt, dass sie neben mir steht und zusieht, wie Sascha und ich gemeinsam renovieren. Ich weiss genau, daran hätte sie grosse Freude.

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Das Haus in den 1960ern

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20. Juli 2015

 

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Der Fensterladen vor meinem Atelier

 

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Das Gartentor. Vorher

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Nachher

 

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Der Fensterladen vor meinem Atelier. Jetzt renoviert.

20150720_172516[1]Die Läden vor Saschas Bureau.

 

Flurphantasien

Der Flur war mir schon als Kind nicht geheuer. Er war dunkel, feucht, voller Spinnen, im Winter gefroren und im Sommer roch er nach Moder. Die Wände sind aus Holz, in einem schmutzigen Türkis gestrichen. Auf der linken Seite hängt eine alte Garderobe.

Seit Februar freue ich mich darauf, dieses dunkle Loch endlich weiss zu streichen. Anfangs hab ich etwas Schiss wegen der Spinnweben und der Spinnen. Doch ich beisse mich durch. Ich klebe alle Leitungsrohre ab, die Ränder, die Lichtschalter und bedecke den Steinboden mit einer Blache. Dann fange ich an zu streichen.

Ich empfinde ein Gefühl der Erneuerung. Mit einem Mal leuchtet der Flur in einem seltsamen Weiss. Die Decke lasse ich so, wie sie ist. Das Holz saugt die Farbe auf. Alles wirkt mit einem Mal grösser. Ich streiche auch die von Opa selber angebrachte Holzwand. Nun ist auch sie weiss.

Es ist seltsam, etwas so altes zu renovieren. Ich tue es mit Respekt, aber auch mit dem Willen, zu verändern. Es bereitet mir Freude, in unseren Ferien weiter am Haus zu arbeiten, denn nur so habe ich die Ruhe und die Zeit, mir alles genau anzusehen, zu entscheiden und Ideen zu entwickeln.

Ich bin nicht unglücklich, dass wir nicht wegfahren, denn das Haus macht mich glücklich. Ich liebe es, in der Stube oder auf der Terrasse zu sitzen und mich daran zu erfreuen, dass alles schöner wird. Und eines weiss ich genau: bei unserem mittlerweile 176jährigen Haus brauche ich nie Angst zu haben, dass jemals ein Ende der Aufgaben in Sicht ist, nicht so lange ich lebe und das Haus steht.

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Endlich!

Eigentlich hatte ich am 10. Juli, dem offiziellen Erscheinungstermin geplant, Omi besuchen zu gehen und ihr „unser“ Buch zu bringen. Aber es kam alles etwas anders als geplant. Meine Hauptangst seit einem Jahr bestand darin, dass Omi das Erscheinen des Buchs schlicht und einfach nicht erlebt. Aber Omi hielt durch. Dass ich dann kurzfristig an „meinem“ Tag arbeiten gehen musste, gefiel mir gar nicht. Aber nun denn.

So ging ich heute, an meinem ersten Ferientag zu ihr.
Ich war aufgeregt. Natürlich hatte ich ihr immer wieder vom Buch erzählt, doch ich konnte nicht sicher sein, ob sie es wirklich versteht.

Und nun ging ich heute bei ihr vorbei und überreichte ihr das Buch. Omi lächelte. Sie freute sich über meinen Besuch, auch wenn sie nicht wusste, wer ich bin. Sie sagte nur: „Ihr gehört zu mir.“ Das stimmt ja auch. Omi strich über die Seiten des Buches. Das Umschlagbild gefiel ihr. Sie konnte nur mehr schwer lesen. Die falsche Brille. Das musste es sein.

Im Gemeinschaftsraum lief derweil ein Interview auf SRF. Carla del Ponte und Stephan Klapproth diskutierten miteinander. Ich bemerkte, dass Omi plötzlich Grimassen schnitt.
„Was ist denn los?“, fragte ich.
Ich drehte mich um und schaute auf den Bildschirm. Omi imitierte Carla und zwar so, dass ich einen Lachanfall bekam. Ich umarmte Omi.
Omi aber lächelte mich an und sagte: „Gell, die ist eine komische!“

Streng dich an! Lass dich fallen!

Nun ist es also soweit. Meine Sommerferien fangen an.
Es ist ein seltsames Gefühl, drei Wochen nur für mich zu haben.
Ich habe viel vor, aber nichts geplant. Für jemanden wie mich ist das ein Drahtseilakt.

Wir haben aufgeräumt. Natürlich müssen wir weiterhin Kisten auspacken. Der Kühlschrank ist zu klein. Es gibt Wände zu streichen. Im Kalten Zimmer warten Flohmarktgegenstände auf neue Besitzer. Unser renovierter Kellerraum und der Holzflur brauchen ebenfalls einen neuen Anstrich. Im Sommer geht das besser als im Winter.Ich werde noch einen Tiefkühler kaufen.

Ich denke zurück. Letztes Jahr haben wir angefangen, gross zu räumen. Omi wohnt seit bald drei Jahren nicht mehr hier. Sie lebt jetzt im Pflegeheim, zwei Dörfer weiter. Gestern abend las ich in einem Quiz, dass Menschen 2,6 Jahre im Heim „überleben“. Omi ist jetzt 87. Ich bin seit einigen Tagen 38. Es ist noch immer so, dass sie ihr eigenes Leben lebt und ich seltsamerweise jetzt mein eigenes.

Es ist Sommer und ich muss dran denken, dass ich vor dreissig Jahren zum ersten Mal meine Ferien hier verbracht habe. Wir haben als Kinder hier gespielt. Opa lebte noch. Der Zwinger stand noch, zwar verrostet, aber immer noch sehr eindrücklich. Die Bäume waren alle kleiner. Der Garten existierte. Das Gartentor war damals schon vermodert.

Ich wurde älter. Nach meinen Hüft-Operationen 1986 und 1987 hat mich Omi jeweils wieder aufgepäppelt. Ich erinnere mich noch gut. Nicht alle fanden das passend. Das Wort „Strenge“ kenne ich gut. Omi hat mich gepflegt, als wäre ich ein kleiner Vogel, der aus seinem Nest herausgefallen ist. Ein Kind, das mehrere schwere Eingriffe hinter sich hat, grosse Schmerzen verspürt, kann man nicht zum Laufen prügeln. Ich habe mich damals angestrengt und wieder laufen gelernt. Ein saudummer Lehrer hat damals zu mir gesagt: „Streng dich an. Du musst ein Vorbild sein für andere Kinder!“

Ich ärgere mich. Kein Mensch kann ergründen, was ich als Kind im Spital erlebt habe. Kein Mensch kann Schmerzen eines anderen Menschen nachempfinden. Ich konnte kein Vorbild sein, erst recht nicht für Menschen, die nicht empathisch genug sind, mit einem Kind umzugehen.

Omi hat sich nicht dafür interessiert, was andere Menschen von ihrer Art Pädagogik hielten. Dafür bin ich ihr bis heute unendlich dankbar. Der Glauben an sich selbst ist das wichtigste. In einem Punkt sind wir uns sehr gleich: wir hatten eine schwere Sache überlebt. Und: Omi lebt noch immer.

Der Bach rauscht, als wären keine 30 Jahre vergangen. Auf der Terrasse hängen Sonnensegel aus Leintüchern. Zarte Stoffe. Hier werde ich ausruhen. Das habe ich schon vor 30 Jahren hier getan.

Der Werkzeugschrank

Seit Februar lebe ich jetzt im Haus. Seit anfangs März habe ich mein Atelier bezogen. Langsam stellt sich eine Ordnung ein. Fast alles ist eingeräumt.

Mein pièce de résistance war Opas Werkzeugschrank. Er steht in meinem Atelier und ich habe ihn seit einem Jahr nicht mehr geöffnet. Warum? Das weiss ich nicht genau. Seine Werkzeuge waren ihm immer heilig. Wie Oma auch hatte auch er ein Faible fürs Aufbewahren von Dingen. Ich schaffte es einfach nicht, den Schrank zu leeren. Es war mir, als würde ich ein Stück von ihm von mir loslösen.

Heute packte ich die Aufgabe aber an und es fiel mir schwer. Sascha holte zuerst die Spinnweben herunter und dann nahm er Stück für Stück für Stück aus dem Schrank. Was rostig war, kam in die Tüte. Der ganze Schrank war stark verstaubt. Das Regal, auf dem Opa sein Werkzeug aufbewahrt hat, war früher Teil der Wohnwand meiner Eltern. Opa war ein Meister des Recycling. Er hat aus allem was gebastelt.

 

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Dann, nach einer Stunde ist der Kasten leer und ich machte mich ans Putzen und neu bestücken.

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Was übrig bleibt, kommt auf den Tisch.
Wieder erhalte ich ein neues Bild meines Grossvaters. Ich entdecke ihn als Erfinder, als Mann, der sich für Elektrik interessiert und: das Schneidern.

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Ich stosse auf Rollen von Milimeterpapier. Auf dem ersten Bogen ist gar nichts. Dann der Grundriss eines der Zimmer des Hauses. Er wollte es verändern. Schliesslich finde ich ein Schnittmuster für ein Jackett mit drei Knopflöchern. Für einen Moment bleibt meine Welt stehen. Ich wusste ja, dass er schneidern konnte. Doch ein Werk aus seinen Händen einfach so zu sehen, berührt mich.

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Geburtstag ohne Muttern

Ich denke, die Mutter vermisst man selten so sehr wie am Geburtstag, denn das ist ja schlussendlich die Sache, die einen zu 100% mit einander verbindet. Es geht mir nicht anders.

Ich kann mich allerdings nicht mehr wirklich daran erinnern, wann wir das letzte Mal ein Geburtstagsfest miteinander verlebt haben. Als Kind war ich an meinem Geburtstag immer in den Ferien bei Omi und Opi im Toggenburg und als Erwachsene versuchte ich, meiner Mutter an diesem Tag aus dem Wege zu gehen. Ich bereue das heute ein wenig. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Menschen konnte meine Mutter so sehr feiern, wie sie litt.

Mir war das alles immer zu nah.
Heute, wo ich in einem Alter bin, wo sie bereits drei Kinder geboren und zwei verloren hatte, sehe ich das anders. Ich frage mich, wo sie einen Ausgleich fand zu ihrem Leben. Wie sie versucht hat, ihre Ängste zu verarbeiten. Ihre Texte, die ich erst nach ihrem Tod gefunden habe, zeigen eine unglaubliche Neugier. Eine Liebe zum Leben. Eine Leidenschaft fürs Verliebtsein. In diesem Punkt sind wir uns verdammt ähnlich.

Ich hätte sie so gerne hier, jetzt. Ich würde mich gerne an sie anlehnen. Sie würde über mein Haar streichen und finden, es sei zu lang. Ich hingegen würde ihr kurzes blondiertes oder gefärbtes Haar verstrubbeln und versuchen, sie auszukitzeln. Denn das ist mir zu ihren Lebzeiten nie gelungen.

Das Kellerloch

Der Keller war mein Sorgenkind. Er war sehr feucht, sehr dunkel und sehr, sehr ungemütlich.
Wir haben ihn während der letzten Jahre gefüllt mit Sperrgut und Müll, den wir fortlaufend entsorgten. Am letzten Freitag haben wir ihn dann endlich geräumt. Die Mulde wurde mit 850kg! Zeugs gefüllt. Wir waren erschöpft von der Hitze und dem Tragen.

Ein wenig mulmig war mir dennoch. Der Keller war immer Opas Revier. Er hat zwar immer wild geflucht über die Feuchtigkeit, aber gemacht hat er deswegen nichts. Ich nehme an, sie hatten einfach zuwenig Geld dafür.

Gestern kam dann „unser“ Schreiner.
Er hat bereits mein Atelier renoviert. Wir wussten, bei ihm ist der Keller in guten Händen. Er arbeitet schnell, sauber und ist überhaupt ein sehr netter Mensch.

Am Freitagnachmittag, also heute, ist von dem dunklen Loch, in dem meine Grosseltern ihre Tontopfsammlung und anderes aufbewahrten nichts mehr übrig. Sogar das Topfregal, schwarz wie die Nacht und total gruusig, ist verschwunden. Der Schreiner hats für uns entsorgt und dafür bin ich dankbar.

Der Raum leuchtet richtig. Es riecht mit einem Mal weniger feucht. Die Holzdecke ist freundlich und wir können jetzt beruhigt in der Stube herumlaufen, weil wir wissen: der Boden hält.

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Der Raum ist dunkel und recht angeschimmelt. (2014)

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wir stapelten hier alles, was wir entsorgen mussten. Es müssen mehrere 100 Kilogramm gewesen sein. (2014)

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„Unser“ Schreinermeister ist an der Arbeit. (Juli 2015)

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die alten Bretter werden entsorgt (Juli 2015)