Frühling im Schneetreiben

Ich spüre den Frühling.
Da will ich raus zum Rasenmähen, Vögel beobachten, Rosen schneiden oder Garten umgraben.
Diese elende Herumsitzerei im Winter nervt mich langsam.

Ich wollte das Bureau endlich fertig streichen. Das schmutzige Türkis war mir zu dunkel. Shabby chic in allen Ehren, doch ich brauche Helligkeit. Mein Arbeitsplatz soll ein Ort der Ruhe und der Inspiration sein. Nicht zusätzliche Ablenkung.

Es fing heute morgen an zu schneien. Ich dachte: Toll. Genau das hat mir jetzt noch gefehlt. Ich will endlich wieder im Bikini draussen herum liegen. Im Garten arbeiten. Mein Bedarf an Wollsocken und warmen Pullovern ist gedeckt.

Ich beginne mit der Decke. Stelle Möbel um. Ich bin zu faul, um alles raus zu stellen. Es hätte auch keinen Platz im Hauseingang. Beim Streichen denke ich an Opa Walter. Hier hat er so oft über seinen Projekten gebrütet. Seine Sachen aufbewahrt. Das Bureau war früher die Werkstatt. Vermüllt. Der Raum, der im schlechtesten Zustand von allen im ganzen Haus war. Hier wurde seit 1839 gearbeitet. Mehr oder weniger.

Ich streiche weisse Farbe über das Türkis. Ich bin mir sicher, Türkis war schon hier, bevor Uropa Henri mit seiner Röös einzog. Das ganze Innenleben des Hauses scheint damit überzogen zu sein. Weberknechte kreuzen meinen Weg. Sascha bringt die Tiere in den hinteren Keller.

Über Mittag gehen wir in den Löwen essen.

Hier fand anno 1983 oder 1984 das Beerdigungsessen von Henri statt. Zum ersten Mal seit über dreissig Jahren stehe ich wieder hier. Das Essen schmeckt köstlich. Die Räume sind traumhaft schön und mir scheint, als tauchten die Bilder von damals wieder aus meiner Erinnerung auf, so als wären sie nie weg gewesen und so, als wären niemals dreissig Jahre vergangen.

Flurphantasien

Der Flur war mir schon als Kind nicht geheuer. Er war dunkel, feucht, voller Spinnen, im Winter gefroren und im Sommer roch er nach Moder. Die Wände sind aus Holz, in einem schmutzigen Türkis gestrichen. Auf der linken Seite hängt eine alte Garderobe.

Seit Februar freue ich mich darauf, dieses dunkle Loch endlich weiss zu streichen. Anfangs hab ich etwas Schiss wegen der Spinnweben und der Spinnen. Doch ich beisse mich durch. Ich klebe alle Leitungsrohre ab, die Ränder, die Lichtschalter und bedecke den Steinboden mit einer Blache. Dann fange ich an zu streichen.

Ich empfinde ein Gefühl der Erneuerung. Mit einem Mal leuchtet der Flur in einem seltsamen Weiss. Die Decke lasse ich so, wie sie ist. Das Holz saugt die Farbe auf. Alles wirkt mit einem Mal grösser. Ich streiche auch die von Opa selber angebrachte Holzwand. Nun ist auch sie weiss.

Es ist seltsam, etwas so altes zu renovieren. Ich tue es mit Respekt, aber auch mit dem Willen, zu verändern. Es bereitet mir Freude, in unseren Ferien weiter am Haus zu arbeiten, denn nur so habe ich die Ruhe und die Zeit, mir alles genau anzusehen, zu entscheiden und Ideen zu entwickeln.

Ich bin nicht unglücklich, dass wir nicht wegfahren, denn das Haus macht mich glücklich. Ich liebe es, in der Stube oder auf der Terrasse zu sitzen und mich daran zu erfreuen, dass alles schöner wird. Und eines weiss ich genau: bei unserem mittlerweile 176jährigen Haus brauche ich nie Angst zu haben, dass jemals ein Ende der Aufgaben in Sicht ist, nicht so lange ich lebe und das Haus steht.

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Eine Kindheit in Mint und Türkis

Das Schlafzimmer ist der oberste Raum im Haus. Es gibt nur noch den Estrich, aber in den muss man kriechen und klettern.
Das Schlafzimmer war türkisfarben. Seit heute ist es weiss gestrichen.

Ich brauchte Mut. Ich kenne diesen Raum aus Kindertagen. Hier haben wir Kinder und Omi geschlafen. Hier erzählten wir uns Geschichten. Ich fand es immer wieder interessant, die Wände anzuschauen. Türkis. Mint. Das Kruzifix über dem Bett. Draussen rauschte der Bach.

Stand 16. Januar 2015 088

Für einen Moment lang habe ich gezögert. Die Wand wirklich weiss streichen? Die Farben meiner Kindheit übertünchen?

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Ich tue es.
Ich zerre Heftpflaster von den Balken ab, die meine Oma angebracht hat. wollte sie damit das Haus, ihre Welt, vor dem Zerreissen schützen? Das Holz ist ungleich bemalt. Türkis. Mint. Ritzen. Risse.

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Ich nehme das Barri-Poster ab. Omi hat es vor einigen Jahren aufgehängt. Darunter versteckt sind Kleber, die wohl meine Schwester und ich vor bald dreissig Jahren angebracht haben. Sie sind ganz hart, fast brüchig.

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Das Streichen der Wände geht ganz leicht. Die Decke ist abgeschrägt. Ich streiche mit Inbrunst.

Mir geht durch den Kopf, dass dieser Raum nie mehr der gleiche sein wird wie in meiner Kindheit. Ich frage mich, wer hier schon alles geschlafen hat. Paula. Mein Opa wohl kaum. Meine Urgrosseltern? Die Vorbesitzerin des Hauses? Omi hat seit vielen Jahren nicht mehr hier oben geschlafen, weil der Raum unbeheizt ist.

Mit weissen Wänden wirkt das Zimmer gleich grösser. In wenigen Wochen werden wir hier die Nächte verbringen. Ich freue mich.