Vor einigen Tagen habe ich mich daran erinnert, wie wir alle vor 11 Jahren unsere Krähe Fritzi aufgezogen und ausgewildert haben. Das war eines der schönsten und intensivsten Erlebnisse meines bisherigen Lebens und überhaupt mit meiner Familie. Meinen Vater beim Füttern der Krähe zu sehen, war wunderschön. Ich habe ein paar Fotos davon und sie machen mich glücklich und wehmütig zugleich.
Mein Vater war immer sehr interessiert am Leben von Wildtieren.
Er war seit frühester Jugend Kleintierzüchter. Er arbeitete mit Kaninchen, vielen verschiedenen Rassen Hühnern, Tauben und Laufenten. Wir hielten zuhause Kanarienvögel, Wellensittiche. Er und seine Frau züchteten die verschiedensten Rassenhühner und er war ein Meister in der Zucht von Kaninchen. Wenn der Fuchs oder ein Marder Tiere von uns holte, war er zwar traurig, fand das aber weniger schlimm, als wenn beispielsweise ein Hund aus der Nachbarschaft auf unsere Tiere losging. Da hatte er null Verständnis.
Mein Vater hatte einen grünen Daumen.
Er hatte eine landwirtschaftliche Schule besucht, Landschaftsgärtner gelernt und hat später einige Jahre auf dem Bau gearbeitet. Unter seinen Händen gedieh alles. Ich hatte schon als Kind den Eindruck, dass es nur wenig gab, was mein Vater nicht konnte. So grub er mit eigenen Händen unseren Garten um. Mein Vater war ein Bauernsohn durch und durch. Er mähte seine Wiesen von Hand, mit der Sense. Das brachte er mir viele Jahre bei, nicht ohne einen gewissen Vorbehalt, ob ich es denn wirklich könnte.
Vielleicht tut es mir darum im Moment auch so weh, wenn ich jetzt Männer sehe, die ihre Wiesen mähen. Ich erinnere mich daran zurück, wie kraftvoll diese Arbeit ist und wie gut er sie beherrschte.
Er liebte Nadelbäume. Für ihn bedeuteten sie pures Leben. Er pflanzte sie rund um seine Kleintieranlage an. Er pflanzte auch ein Nadelgehölz auf dem Grab meines Bruders an. Nach der Aufhebung des Grabes wurde der Baum gefällt, was ich persönlich immer noch einfach furchtbar und respektlos finde.
In meiner Erinnerung ist mein Vater noch immer dieser starke Mann, der mit unbekleidetem Oberkörper mäht und herumläuft, der glücklich ist und sein Leben geniesst. Ich bin mir auch nicht sicher, welches Bild ich bewahren will und sollte: das von meinem (glücklichen) Vater zwischen 35 und Ende 60 oder jenes, wo er bereits stark erkrankt ist und sichtlich leidet.
Vielleicht sagt ja jeder, der einen Menschen verloren hat „Ich hätte die Zeit mehr geniessen sollen, die ich mit ihm/ihr hatte.“
Ich denke, das spielt gar keine Rolle. Ich hab den Eindruck, dass ich jede Minute mit ihm genossen habe. Er fehlt mir trotzdem sehr. Sein Verlust ist für mich nicht wieder gut zu machen. Es gibt seit Beginn seiner Krankheit, seit seinem Tod so viele Momente, wo ich ihm etwas zeigen oder sagen wollte.
Er hat all die Jahre Bedenken wegen unserer Linde neben dem Haus gehabt. „Die wirft zuviel Schatten. Tu sie um“, sagte er. Seit einigen Tagen ist sie geschnitten. Sie hat von ihrer Macht eingebüsst, kann nun aber gesünder weiter wachsen.
Vielleicht ist es mit der Trauer um einen Menschen gleich wie mit der Linde hinter unserem Haus. Sie wirft einen Schatten aufs Leben, das weiter geht. Es liegt an uns (Weiter-)Lebenden, mit der Trauer etwas zu machen. Weiterzuleben mit der Gewissheit, dass einer der wichtigsten Menschen im Leben nicht mehr da ist. Vor einigen Tagen habe ich zwei Abkömmlinge unserer Tanne eingepflanzt, in der Hoffnung, dass aus ihnen kräftige Tannen werden.




















