Machs gut, lieber Rudi

Vergangene Nacht starb Rudi. Er wurde 90 Jahre alt.

Ich habe Rudi nie getroffen, doch über Twitter waren wir über fünf Jahre lang befreundet. Er hat mich herzlich unterstützt, sei es in meinem Schreiben oder während Omis Demenz.

Als ich „Lavinia Morgan“ überarbeitete, hat er mich immer wieder via PN und Mail motiviert, weiter zu machen, (mich und das Buch) nicht aufzugeben. Auf das fertige Werk (und mich) war er dann sehr stolz.

Es hat mich sehr gerührt, dass er mich als „Enkelin“ bezeichnet hat. Das geschah in einer Zeit, in der mich meine Omi vergessen hatte. Es tat gut, einen Menschen aus ihrer Generation da zu wissen. Er hat Twitter für mich zu einem guten Ort gemacht. Seine Menschenfreundlichkeit und seine Begeisterungsfähigkeit werde ich nie vergessen.

Rudi gehörte zu meinem literarischen Freundeskreis: Wie oft hat er mir und meiner Familie mit seinen schön formulierten, liebevollen Kommentaren eine Freude gemacht! Er hat mich getröstet, als Omi im Sterben lag. Er tat dies aus der Warte des weisen alten Mannes, ohne jemals arrogant zu wirken. Rudi muss sehr viel erlebt haben; verbittert war er aber nicht.

Die letzten Monate habe ich nichts mehr von ihm gelesen. Ich ahnte, dass er sich nun auf seinen letzten Weg machen würde.

Lieber Rudi, ich wünsch dir eine schöne Reise und grüss all jene, die ich vermisse. Danke für alles!

Die Beinbruch-Angst

Ich hatte die letzten Jahre, als Paula noch alleine in ihrem Haus lebte, permanent Angst, dass sie irgendwann mal stürzt. Ihr Kreislauf ist nicht mehr der beste. Das Alter macht sich in ihren Beinen bemerkbar.

Manchmal bin ich nachts aufgewacht, weil ich fürchtete, sie läge jetzt am Fusse der steilen Treppe. Total hilflos. Wenn sie das Telephon nicht entgegennahm, malte ich mir die schlimmsten Szenarien aus. Mehr als einmal wollte ich einfach abends ins Auto sitzen und nachschauen, ob ihr was passiert ist.

Natürlich hätte ich damals schon drauf pochen können, dass sie ins Heim geht. Aber da sie das ablehnte, liess ich es.

Seit sie im Pflegeheim lebt, ist diese Angst weniger präsent. Ich weiss, dass immer jemand da ist und schaut, dass sie nicht davon läuft. Dass sie nun am Mittwoch im Heim gestürzt ist, und zwar so richtig heftig, war zu erwarten. Schnell hat sie Hilfe gekriegt, wurde ins Spital gebracht. Sie musste nicht lange unter Schmerzen leiden.

Ich mache niemandem einen Vorwurf, denn schliesslich ist meine Oma ein freier Mensch. Man kann sie nicht anbinden. Sie war immer jemand, der gerne draussen war.

Viel mehr macht mir das Nachher Sorgen. Wie wird sie sich erholen? Kann sie jemals wieder laufen? Oder ist dieser Bruch ihrer Gelenkpfanne, des Beckens und noch einiger weiterer Knochen eine Art Todesurteil?

Ich muss der Realität ins Gesicht schauen. Omi Paula ist 86. Wenn sich ihre Knochen wieder erholen, wird alles gut. Aber sonst muss ich akzeptieren, dass sie nun einen weiteren Schritt von mir weggeht.

Ich bin froh, dass Paula nach wie vor zuversichtlich ist. Sie liegt in ihrem Bett und wirkt zufrieden. Ich hoffe, das bleibt die nächsten Wochen so. Schliesslich bin ich jetzt noch nicht bereit, mein Omi loszulassen.

paula zieht aus teil 1

heute morgen war es soweit. wir machten uns auf den weg zu paula für den umzug ins altersheim. als wir ankommen, finden wir paula in tränen aufgelöst. sie weint und wirft uns vor, wir hätten sie vergessen. ein blick auf die uhr klärt die situation. paula hat die uhr nicht zurückgestellt und wartet seit stunden.

das packen und ausräumen ihrer gewünschten möbel verläuft schwierig. paula steht verloren da. mehr als einmal fürchte ich, sie fällt gleich die treppe herab. in der küche herrscht ein grosses durcheinander: müll, katzenfutter und küchentücher stapeln sich auf der essbank. wenigstens hat paula die heizung eingeschaltet. so ist es wenigstens nicht allzu kalt.

beim einpacken ihrer sachen ist geduld meinerseits gefordert. dass wir zwei taschen mit plastiksäcken mitnehmen müssen, passt mir nicht. aber ich packe sie ein. schliesslich ist es ihr wichtig. als die nette spitexfrau kommt, um mir den übergaberapport von paula zu übergeben und mich fragt, was sie noch für mich tun könne, überkommt es mich. auch paula weint. sascha schafft es schliesslich, paula etwas abzulenken. die pflegefachfrau gibt mir den tipp, paula gleich bei der ersten fahrt mitzunehmen und sie dem pflegeteam anzuvertrauen. das packen und die noch schlimmere unordnung bringen paula durcheinander. ich bedanke mich für die ratschläge und die gute arbeit, schniefe weiter.

als wir die beiden autos geladen haben, folgt der wirklich schwierige teil. paula sollte sich umziehen. mit sehr, sehr viel überredungskunst schaffe ich es, dass sie ihre rote trainerhose auszieht und eine frische anzieht. den pullover und die wolljacke lässt sie an. ich gebe auf.

dann packen wir ihre handtasche. auch hier drängt sie darauf, einige plastiksäcke mitzunehmen. was mir anschliessend fast das herz zerreisst, ist paulas verabschiedung vom haus. sie geht in jedes zimmer und sagt ein paar worte. mir scheint, als hätte sie sich von allen geistern des hauses verabschiedet. sascha schafft es schliesslich, mit ihr heraus zu gehen. ich schliesse die tür hinter ihr ab.