#followerpower: wo ist @sanglier0815

Seit Mitte Februar 2014 habe ich nichts mehr von meinem Twitter-Freund @sanglier0815 gelesen. Ich mache mir ernsthaft Sorgen.

Wir haben uns regelmässig geschrieben. Er war ein Fan vom #tatort und hat sich auch in Tatort-Chats aufgehalten. Er war mal verheiratet, lebte jetzt aber offenbar getrennt. Er war so um die 40 Jahre alt. Er ist von einem auf den anderen Tag einfach verschwunden.

@sanglier0815 hat mich mit vielen Feedbacks beim Schreiben meiner Blogartikel unterstützt. Er fehlt mir und vielen anderen. Ich möchte gerne wissen, was mit ihm passiert ist. Wenn er nicht mehr lebt, dann möcht ich das auch gerne wissen.

Ich vermute, dass er im Grossraum Hamburg gelebt hat. Seine Aufnahmen auf youtube lassen darauf schliessen.
Falls ihr in Hamburg lebt, und diesen Mann kennt, bitte ich euch, zu schauen, wo er lebt und ob er noch lebt.

Alles Liebe und danke für Euer Mithelfen

zora

Scham und Sprachanarchie

Was mich immer wieder von neuem berührt, ist der Umgang von Demenzkranken mit ihrer Krankheit.
Wie muss es sein, wenn die Welt um einen herum langsam kleiner wird? Wenn die Worte fehlen? Wenn man plötzlich Fremden gegenüber steht und deren Namen weiss?

Schrecklich ist die Scham. Denn natürlich spürt der an Demenz erkrankte Mensch, dass etwas nicht mehr stimmt. Angst kommt auf. Verlorenheit. Desorientierung.

Vielleicht hatte ich Glück, weil Oma und ich nie so nah zusammenwohnten. Täglich miterleben zu müssen, wie sie Dinge nicht mehr weiss, hätte mich halb wahnsinnig gemacht. Omi Paula hat immer gespürt, wenn ich sauer wurde. Wenn ich ihre Wiederholungen nicht mehr ertragen konnte. Dann meinte sie: „wenn du mal so alt bist wie ich, wirst du mich verstehen“ und „ich mach es nicht extra.“

Das hat mich jeweils beschämt. Keine Geduld zu haben kenne ich von mir nicht. Es hat mir aufgezeigt, wo meine Grenzen sind.

Aber dann waren da auch andere Tage. Omi erfindet neue Wörter, die ich wunderbar finde. Sie ersetzt ganze Sätze, Floskeln einfach durch „blablabla“. Sie wird zu einer Sprachanarchistin. Leute, an die sie sich nicht mehr erinnert, heissen plötzlich „der Dings“. Und wenn sie gar nicht mehr weiter weiss, fängt sie an, Geschichten von früher zu erzählen. Hier weiss sie natürlich noch viel.

Für mich selber ist das Vergessen eine schwierige Sache. Ich liebe es, mich zu erinnern. Ich mag vergangene Zeiten und ich mag mir gar nicht vorstellen, was mit mir sein würde, wenn ich meine Erinnerungen verlöre.

Über Beziehungen, die Ehe und das Gernhaben

Ich frage mich oft, was meine Grosseltern Paula und Walter über ihre Ehe dachten. Waren sie wirklich glücklich?

Meine Grosseltern haben nach der Geburt meiner Mutter praktisch nichts miteinander unternommen. Sie hatten keine gemeinsamen Hobbies. Mein Opa war ein Eigenbrötler, während meine Oma ein eher geselliger Mensch war damals.

Wenn ich das so mit meiner eigenen Beziehung vergleiche, überkommt mich Traurigkeit. Ich verbringe einen Grossteil meiner freien Zeit mit meinem Freund. Wir arbeiten daheim zusammen. Wenn wir mal getrennt sind, überkommt uns ein seltsames Gefühl von Verlorenheit.

Meine Oma ging, als sie in den frühen 40ern war und ich noch nicht geboren war, gerne mit ihren Arbeitskolleginnen auf Reisen. Sie flog nach Rom, reiste mit dem Zug nach Lourdes. Von meinem Opa ist nichts dergleichen bekannt. Seine einzigen Freunde waren jene Männer, mit denen er im Krieg war, später andere Musiker.

Als ich geboren wurde, war ich offensichtlich der Lebensmittelpunkt meiner Grosseltern. Oma und Opa hatten einfach immer Zeit, wenn wir was brauchten. Unsere Telefonate dauerten, zum Leidwesen meiner Eltern, jeweils sehr lange.

1996 litt mein Grossvater unter Müdigkeit und Entkräftung. Es wird ihn wohl sehr an die Zeit um 1944 erinnert haben. In seinem Dienstbüchlein steht, dass er ein eher schwächlicher, unterernährter Mann, aber dennoch diensttauglich war.

Was wie eine Grippe anfing, mauserte sich zu einer Diagnose, die todbringender nicht sein könnte: Leberkrebs. Opa wusste wohl ganz genau, was ihn erwarten würde. Aber, wie immer, wenn es ihm nicht gut ging, redete er wenig bis gar nicht mehr. (Irgendwie kommt mir das sehr bekannt vor…)

Erst als Opa immer schwächer wurde, fanden Oma und Opa wieder zusammen. Sie haben in jenen schlaflosen Nächten viele Gespräche geführt. Und, viel wichtiger: sie haben einander wieder umarmt und geküsst.

Diese Sache rührt mich auch nach über 17 Jahren noch immer. Wie muss das gewesen sein: fast 50 Jahre mit einem Mann verheiratet sein, mit dem man einfach ein gemeinsames Kind hat, dessen Namen man trägt, aber mit dem man sonst nichts gemeinsam hatte.

Umso wichtiger erscheint es mir heute, wann immer meine Oma Paula danach verlangt, sie zu umarmen. Ich traue mich nicht immer, denn Oma wirkt zerbrechlich. Aber wenn sie einen dann mit ihren lieben grünbraungrauen Augen anschaut und verschmitzt lächelt, muss ich sie einfach knuddeln und ihr zeigen, wie gerne ich sie habe und wie wichtig sie mir ist.

Auch mein Freund Sascha hat in diesem Prozess eine wichtige Rolle. Ihn will sie immer umarmen. Sie will auch immer ein Küsschen von ihm. Natürlich fragt sie mich immer zuerst:
„Sag mal, würde der Schascha der Oma Paula bitte noch ein Küssli geben?“

Natürlich macht Sascha das. Dann drückte Paula ihn fest an sich und strahlt wie ein Honigkuchenpferd.

 

img058

März oder Mai 1951. Meine Oma ist bereits schwanger.

Köln by night

Der gestrige Abend war ein Highlight durch und durch.
Wir wurden von einer Limousine im Hotel abgeholt und durch Köln zum dock.one chauffiert. Dort angekommen gabs ein Foto auf dem roten Teppich.

In der Vorhalle wurden jede Menge Getränke serviert. Es gab ein tolles Buffet. Dann trudelten die Menschen ein. Viele Menschen. Für meinen Geschmack fast zu viele. Ich mags nicht so, wenn man mich anrempelt.

Dann ging die Feier los. Ich sass da und war aufgeregt. Ich glaube in jenem Moment wurde mir bewusst, wie wertvoll die Nominierung und das Drumherum ist.

Da waren Teams von fünf, acht, ja sogar vierzig Leuten nominiert. Ich hingegen mach mein Ding alleine. Besonders gefreut habe ich mich, als Norbert Molitor für seinen Blog „Neviges“ mit einem Preis ausgezeichnet worden ist. Mit seiner Art des Schreibens und des Fotografierens hat er ein ganz eigenes, schönes Juwel geschaffen. Ich war sehr berührt, als er seinen Preis entgegen nehmen durfte, denn es war spüren, mit welcher Leidenschaft dieser Mann bloggt.

Den Rest des Abends habe ich schliesslich in sehr angenehmer Gesellschaft verbracht. Ich fragte Joe Bausch, ob Sascha von uns ein Foto machen dürfte. Ich lernte einige sehr nette, interessierte Leute kennen. Ich hab gequatscht, bis ich heiser war.

Um zwei Uhr nachts schliesslich kehrten wir zurück ins Hotel. Müde, aber sehr glücklich. Voll von Eindrücken Zufrieden. Dankbar.

Was mir übrigens bewusst wurde, ist, wie viele Leute den Paulablog lesen und mögen. Das ist so wertvoll und gibt mir Energie zum Weitermachen. Ich möchte drum sehr gerne Danke sagen an alle, die mich so unterstützt haben in den letzten Wochen, sei es mit Tweets, PN’s, Mails, Kommentaren oder einfach Umarmungen im Alltag.

Aufgeregt

Seltsame Sache.
Ich sitze hier in meinem Hotelzimmer.
Schminke mich.
Ziehe ein schwarzes Kleid an.
Die grüne Kette.
Muss daran denken, dass der einzige Grund,
warum ich überhaupt hier in Köln bin,
meine Oma ist.

Mich hat jemand heute gefragt, ob ich in Feierlaune wäre.
Ich habe keine Ahnung, was ich bin.
Aufgeregt bin ich.
Soviel steht fest
und alles andere
nehme ich, wie es kommt.

Schaffenskraft

Eines jener Dinge, die ich an meiner Oma immer bewunderte, war ihre Tatkraft und ihr unerschütterlicher Glaube an das Gute.

Nach dem Tod meines Opas, Oma sass bis zu seiner letzten Minute an seinem Bett und hielt seine Hand, war sie zwar sehr traurig, aber auch seltsam befreit.

All die Jahre ihrer Ehe und ihres gemeinsamen Lebens im Toggenburg, durfte Omi nichts am Haus verändern. Mir scheint im Nachhinein, als hätte Opa Walter mit aller Kraft an seiner eigenen Kindheit festhalten wollen. Den Satz „Lass das bloss sein, das war schon immer so“, hörte ich sehr oft von ihm, wenn Omi Verbesserungswünsche anbrachte.

Nach seinem Tod aber begann Omi Paula das Haus auszumisten. Mit aller Kraft entledigte sie sich der Vergangenheit. Das Haus sollte in neuem Glanze erscheinen. Ihre Schwester Hadj unterstützte sie dabei. Omi war gerade mal 69 Jahre alt, Hadj zwei Jahre älter.

Gemeinsam hauchten sie dem Haus frischen Atem ein.
Diese Phase des Aufbruchs fand erst ein Ende, als Omi 2006 starkes Rheuma kriegte und ihre Arme nur noch schwer bewegen konnte.

Nach dem Tod meiner Mutter blühte meine Oma nochmals auf.
„Es muss weiter gehen“, sagte sie oft, „auch ohne mein Urseli.“
Nicht einmal die ersten Anzeichen der Demenz konnten Oma Paula bremsen. Sie hatte so viele Pläne. Sogar als sie ihre Hände nur noch schwer bewegen konnte, dachte sie darüber nach, nähen zu lernen.

In diesem Punkt sind Omi und ich uns sehr ähnlich. Wir packen beide an. Wir lassen nichts stehen. Es ist nie zu spät, um etwas und sich selber zu verändern. Selbst in der miesesten Sache gibt es immer was Gutes.
Man muss sich nur auf die Suche machen.

wegfliegen

Morgen früh fliegen wir ab nach Köln. Ich bin seltsam aufgeregt. Die Woche war turbulent. Die Zeit zieht rasch an mir vorbei. Schon Ende Juni? So schnell? Dabei war doch erst grad noch Ostern.

Köln. Die Stadt ist so furchtbar weit weg von daheim. Ich muss daran denken, dass ich doch eigentlich gar nicht gern für länger wegfahre. Vier Tage müssen aber drin liegen, sage ich mir beim Einschlafen.

Seltsamerweise denke ich die ganze Zeit ans Haus im Toggenburg. Irgendwie scheint es zu meinem Anker geworden zu sein. Es ist, als hätte das Haus eine Funktion in meinem Leben eingenommen, die sonst immer Oma innehatte.

Der Hafen. Der Ort der Geborgenheit.
Ich muss dran denken, wie gerne ich als Kind ins Haus ging. Auch wenn alle Räume, bis auf Omas Schlafzimmer, nach Opas Pfeifentabak stanken, liebte ich es. Das Holz der getäferten Wände. Der Geruch des feuchten Steins. Das Alter des Hauses. Die gelben Hauswände. Die dunkelroten Holzbalken. Das Haus ist wie eine Schulter zum Anlehnen.

Ich freu mich auf den Flughafen Zürich. Ich mag es, mit der Bahn anzukommen und die Rollstreppen hinaufzufahren. Das Design der Bahnhofshalle ist noch immer das gleiche wie damals, als ich mit Oma Zug fuhr.

Alles ist modern und aus Stahl. Ich denk zurück ans Haus, den Garten und stell mir vor, wie Omi auf dem Weglein steht und mir zuwinkt.

„Komm bald wieder, Meitli und vergiss mich nicht!“ rief sie jeweils. Sie stand aufrecht wie eine Birke. Ihr Haar war schwarz mit weissen Fäden drin. Oma bleibt stehen und winkt, bis ich sie nicht mehr sehen kann.

Ich freu mich auf Köln

Nervosität hoch zwei

Mein Nervositätspegel steigt unaufhörlich. Bereits am Donnerstagmorgen fliege ich nach Köln. Das ist das mittlerweile vierte Mal in meinem Leben, dass ich fliege und das dritte Mal innerhalb weniger Wochen. Ich war noch nie in meinem ganzen Leben an einem Anlass wie der Preisverleihung des Grimme Online Awards. Natürlich nicht. Denn eigentlich ist mein Leben ein anderes.

Wirklich schön sind die guten Worte jener Menschen, die mich gerne haben und mir Glück wünschen. Da ist meine Kosmetikerin, die mich seit Jahren toll berät. Meine Nachbarinnen, die für mich wie Schwestern sind, meine ArbeitskollegInnen und Freunde und Freundinnen, die mir feste die Daumen drücken und mich im Alltag so stützen.

Doch neben all der Euphorie sind meine Gedanken bei Paula. Wie es ihr wohl ergeht, während ich nicht da bin? Vermisst sie mich? Was ist, wenn…?

Ich schiebe die Gedanken weg. Ich informiere Omis Beistand, dass ich vier Tage lang im Ausland bin. Für alle Fälle.
Zu gerne würde ich Omi anrufen und ihr davon erzählen. In früheren Zeiten hätte sie Dinge gesagt wie: „Ach, mein Schatz. Du machst das schon. Ich bin so oder so stolz auf dich. Ich hab dich lieb. Vergiss mich nicht!“

Natürlich vergesse ich sie nicht. Denn der Grund, warum ich überhaupt in diese ferne Stadt Köln fahren darf, ist meine Oma. Und ausgerechnet ihr kann ich es nicht erzählen.

Ich muss auch gerade jetzt im Moment an meine Mutter denken. Als 2006 die Uraufführung eines Theaterstücks stattfand, an dessen Buch ich mitgeschrieben hatte, war sie sehr gerührt und sehr stolz. Damals hätte ich nicht gedacht, dass sie bereits ein Jahr später nicht mehr an meiner Seite ist.

Stattdessen werde ich meinen Vater und seine Frau anrufen. Denn sie sind noch da.

Hilfe aus der Familie

Ich bin immer wieder dankbar, dass ich Menschen um mich herum habe, die mich unterstützen. Neben meinem Freund Sascha sind dies besonders mein Vater und seine Frau.

Mein Vater ist seit einigen Jahren pensioniert und in Sachen Landschaftspflege und Tierhaltung der versierteste und sorgfältigste Mensch, den ich kenne. Er unterstützt mich tatkräftig, besonders bei der Pflege der Wiese rund ums Haus. Er hat mir auch das Sägissen beigebracht.

Das ist nicht selbstverständlich für mich, denn eigentlich hat er, als Ex-Schwiegersohn von Paula, nichts mit dem Haus zu schaffen. Ich bin für seine Ratschläge, was das Mähen und den Unterhalt des Hauses angeht, sehr dankbar.

Es rührt mich auch, wenn er sich Sorgen macht, dass mich der Hauskauf zu sehr belasten könnte. Ich rege mich zwar furchtbar auf, wenn er mit sowas anfängt, aber dann muss ich dran denken, dass ich für meinen lieben Papi noch immer das kleine Mädchen und nicht die Macherin von heute bin.

Auch Vaters Frau unterstützt mich, besonders moralisch, denn neben der ganzen Warterei auf den Hauskauf, nimmt mich Paulas Gesundheitszustand ganz schön mit. Mir tut das Reden mit ihnen sehr gut. Denn bei meinen Eltern brauche ich mich nicht zu verstellen. Ich kann auch mal fluchen, verzweifelt sein oder ganz einfach schwärmen.

Darum sag ich Danke für alles. Ich habe euch ganz fest gern!

Sommerlust

Ich liebe es, im Garten zu arbeiten. Diese Leidenschaft habe ich wohl von meinem Vater und meiner Oma weitervererbt bekommen. Egal, wo wir wohnten, ein Garten musste einfach sein.

In den Sommerferien konnte ich jeweils mitverfolgen, wie gewissenhaft und lustvoll Omi Paula ihren Garten bestellte. Sie pflanzte Erdbeeren, Bohnen, Zwiebeln und Kabis an.

Im Juli erntete sie die Johannisbeeren und begann diese dann einzumachen. Sie kochte die beste Gonfi der Welt und extra für mich machte sie Johannisbeersirup.

img788

Omi in ihren Garten in Sirnach, irgendwann Ende der 60er

13-07-22_random_426

Sommer 2013 in Paulas Johannisbeerplantage im Toggenburg

 

Diesen brachte ich jeweils stolz nach Hause.
Eine andere, etwas traurigere Episode erinnert mich ebenfalls an den besten Sirup der Welt.

An einem Samstagnachmittag, meine Mutter war gerade kurz im Garten oben, hatten meine Schwester und ich Lust auf einen Streich. Wir suchten Mamis Weinflaschenversteck, öffneten die Flaschen und kippten ihren Merlot weg.

Dann entschied ich, als Ältere, Johannisbeersirup in die Flaschen zu füllen, diese wieder zu verschliessen und zu warten. Das Donnerwetter erfolgt wie ein Sommergewitter.

Meine Mutter begann kurz nach 15h ihr Glas zu füllen und bemerkte den Streich. Leider war um diese Zeit der Dorfladen bereits zu und sie konnte nicht Autofahren. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals einen Menschen derart ausrasten sah. Nur die Tatsache, dass ich schnell rennen und gut klettern konnte, rettete mich vor den Prügeln meines Lebens.