Als ich heute morgen aufstand, wusste ich, dass es mich ins Toggenburg zieht. Ich wollte auf der Terrasse picknicken. Wir packten unseren Korb und fuhren langsam in Richtung Toggenburg.
Heute zogen die Wolken tief über unseren Köpfen. Als wir ankamen, lag das Haus in sanftes Licht getaucht. Ich trat ins Haus und öffnete Fenster und Läden, damit frische Luft in die alten Räume dringen konnte. Ich widerstand der Verführung, aufzuräumen. Nein, heute wollte ich einfach nur da sitzen und geniessen.
Ich schaute den Spatzen zu, die wild herumflogen. Die Riegel an den Fensterläden klackerten im Wind. Wir setzten uns auf die blaue Decke und frühstückten. Mein Blick fiel auf die Linde hinter dem Haus. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie schon da stand, als ich noch ein Kind war. Jetzt prangt sie riesig und ebenmässig in der Wiese. Ich gehe zu ihr hin und sehe Blüten. Ich kriege Lust, Tee zu brauen.
Nach einer Weile verriegeln wir das Haus wieder. Wir packen zusammen und laden das Auto. Das nächste Ziel ist Paula. Sie liegt nämlich immer noch im Spital und ich bin gespannt, wie es ihr geht. Am Freitag wird sie entlassen.
Ungeschickterweise treffe ich genau beim Mittagessen ein. Ich hatte gedacht, dass dieses nach elf Uhr serviert würde.
Meine Oma Paula sass am Tisch und löffelte die Suppe. Sie war ihr zu heiss. Sie begrüsste mich aufgestellt und wusste sogar meinen Namen. Ich setzte mich auf ihr Bett, denn der nächste Stuhl war zwischen Bett und Tisch eingekeilt.
Oma ass langsam. Aber ich bemerkte, dass sie nur schwer Lust hatte zu essen. Es war für mich unerträglich zuzusehen. Früher war Paula nämlich eine leidenschaftliche Esserin. Sie konnte zwar nicht perfekt kochen, aber ihre Rösti, ihr Voressen und ihre Tomatenspaghetti schmeckten so richtig gut.
Was tun?
Ich entschied mich, auf dem Stuhl Platz zu nehmen.
Paula hatte Mühe, mit der Gabel die Hörnli und das Fleisch aufzustechen. Ich fragte sie nach der Gabel und begann ihr, langsam einzugeben.
Beruflich gebe ich oft Menschen Essen ein. Aber es war das erste Mal, dass ich Paula Essen eingab. Für einen kurzen Moment standen mir die Tränen zuvorderst. Doch dann musste ich daran denken, wie sie mich liebevoll als kleines Kind gefüttert hatte. Wie oft sie mich ermuntert hatte, zu essen.
Also tat ich es ihr gleich.
Schon beim ersten Bissen veränderte sich ihre Stimme. Sie wurde hoch. Sie lächelte vergnügt und achtete darauf, dass ihre Serviette richtig sass und ich sie nicht aus Versehen voll kleckerte.
Doch nach einigen Bissen war Schluss. Sie mochte nicht mehr essen. Ich putzte ihr mit einer feuchten Papierserviette den Mund. Sie spitzte ihre Lippen und meinte: „Hier noch! Da noch!“
Nach einigen Minuten trat die Pflegende ein. Sie unterhielt sich mit Paula ein wenig und ermunterte sie, weiter zu essen. Paula versuchte, mit den Fingern Hörnli aufzuklauben und zu essen.
„Gell, Omi, jetzt würdest du lieber mit den Fingern essen?“ fragte ich sie. Die Pflegende stand neben Paula und meinte, sie solle ruhig von Hand essen. Paula lächelte. Ich wusste, Paula macht das schon richtig.
Paula und ich ca 1978