Lass los

Zwei Jahre ist er nun tot. 24 Monate ohne ihn.
Ich erlebte einen wunderschönen Herbst, die Trauer drückte nicht mehr so sehr wie noch vor einem Jahr. Ich pendelte zwischen Toggenburg, dem Thurgau und Bern und entdeckte so die sommerliche Schönheit unserer Hauptstadt.

Ich verbrachte nebst Arbeit und Studium sehr viel Zeit an der frischen Luft und konnte jede Menge Tiere beobachten. Das machte mich sehr glücklich.
Im Frühling wurde unser Haus frisch gedeckt und jetzt, im Spätherbst, können wir in warmen Räumen leben ohne so viel wie in den Vorjahren heizen zu müssen. Bei all dem Neuen in meinem Leben erkenne ich etwas: ich konnte meinen Vater loslassen.

Mitte November – am 2. Todestag meines Vaters – erlebte ich zwei wunderbare Tage im Greifvogelpark Buchs. Ich absolvierte zwei Ausbildungstage der FBA und – blickte zum ersten Mal in meinem Leben einem grossen Greifvogel in die Augen. Rojo heisst er und er ist ein Seeadler. Er ist ein wunderschönes, prächtiges, stolzes Tier.
Als ich ihn auf meinem Arm hielt, liefen mir die Tränen über das Gesicht. Wie gerne hätte ich mit meinem Vater diesen einen Moment geteilt! Wie gerne hätte ich ihm davon erzählt, ihm Bilder gezeigt und mit ihm über diese wunderbare Begegnung gesprochen.

Doch im gleichen Moment, wie ich daran dachte, spürte ich, wie nah mir mein Vater in Gedanke und Gefühl ist. Dass ich nicht traurig sein brauche, weil all das, was er in jenem Moment gesagt und gedacht hätte, längst Teil von mir ist und bis zu meinem letzten Tag bleiben wird. So blickte ich in Rojos Augen, ächzte ein wenig, weil 3,750kg doch irgendwann ein bisschen schwer wiegen und freute mich einfach über diesen einen Moment.

Abends fuhr ich nach Hause, überglücklich. Reich beschenkt.

Zehn Jahre sind nichts

Zehn Jahre sind nichts.
Ein bisschen mehr als ein Viertel meines Lebens.
Vor zehn Jahren war mein Leben anders als jetzt. Ich lebte im Thurgau in der Nähe meiner Eltern.

Um diese Zeit vor zehn Jahren beschloss mein Vater, einem Tier das Leben zu retten. Er entschied sich, nach langem Hin und Her, einer jungen Krähe das Leben zu retten. Ich war unglaublich glücklich, dies alles mit ihm zu erleben.

Mein Vater hatte diesen Schritt schon einmal gemacht, als er noch ein Teenager war und im thurgauischen Wetzikon lebte. Auch damals musste er sich entscheiden.

Die Krähe damals war, seiner Beschreibung nach, ein Albino. Ich habe leider keine Belege für diese Geschichte, aber ich glaube meinem Vater. Seine Kenntnisse in Ornithologie waren bis zum Ende seines Lebens fabelhaft.

Ich erinnere mich aus Kindertagen gut daran, wie mein Vater beschrieb, wie die Krähe ihn zur Schule begleitete, an die Scheibe klopfte, den Unterricht störte, bis sein Lehrer beschied, dass das Tier in den Plättlizoo gehen sollte.

Mein Vater hatte ein Händchen für Vögel. In seiner Nähe wurden sie zutraulich, so als würden sie spüren, dass er sie zutiefst liebte und verstand. Dass er schlussendlich einer von ihnen war.

Jetzt ist Frühling und ich freue mich über all die Vögel, die sich in meiner Nachbarschaft paaren und brüten.

Vor zehn Jahren war ich sehr glücklich. Die vier Wochen mit Fritzi (und meinem Vater) waren wunderschön. Ich habe damals sehr viel über die Beziehung zwischen Mensch und Tier gelernt. Ich lernte loslassen.

Man mag denken, dass Trauer eine menschliche Sache sei. Doch das stimmt nicht ganz. Wer zwei verpartnerte Krähen trennt, erlebt Schreckliches. Sie schreien und leiden. Ihre Herzen brechen.

Frühling auf geplatzter Haut

Ich bin froh, kommt nun der Frühling. Er ist meine liebste Jahreszeit. Ich plange drauf, dass die Bäume und Blumen wieder blühen. Das erste Viertel des Jahres ohne meinen Vater ist um. Weihnachten und sein Geburtstag liegen hinter mir.

Vor einem Jahr, als die Pandemie anrollte, haben wir kurz übers Kranksein gesprochen. Vielmehr aber noch über die Freiheit. Rausgehen. Die Natur erleben. Das war sein grösster Wunsch. Und auch meiner.

Wenn ich im Garten arbeite, bin ich meinem Vater nahe. Das fühlt sich an wie eine sanfte Umarmung. Ich vermisse unsere Umarmungen. Seine Stimme. Mein Blick auf die Linde in meinem Garten, die er hasste: „Der Baum gibt zu viel Schatten. Der macht dir das Haus kaputt.“

Da ist die Erinnerung daran, wie wir vor 10 Jahren unsere Krähe Fritzi aufgezogen haben. Papi hat sie gerettet, im Wissen, dass man sie auf jener Weide vermäht hätte. Er rief mich an und sagte: „Komm vorbei. Ich habe eine Krähe gefunden und ziehe sie auf.“ Ich kam so schnell ich konnte, denn ich erinnerte mich daran, dass mein Vater das schon einmal getan hatte. Als Bub hatte er eine weisse Krähe. Die war zahm und folgte ihm auf Schritt und Tritt, sogar bis in die Schule. Auf Geheiss des Lehrers, ein Grund, warum mir Lehrer wohl immer unsympathisch bleiben werden, musste er sie abgeben. Mein Vater erzählte mir, sie sei dann in den Plättlizoo nach Frauenfeld gekommen. Belegen kann ich das leider nicht. Aber wenn mein Vater das sagt, dann muss das wohl gestimmt haben.

Ich frag mich, ob nun meine Trauerzeit bereits beendet ist. Was da noch kommt. Ich weiss: Da ist Ostern, wo wir immer fein essen gingen. Mein Geburtstag im Juli. Da haben wir ebenfalls gemeinsam gefeiert. Der 1. August. Den feierten wir nicht mehr so sehr, seit wir nicht mehr bei Frauenfeld wohnten. In meiner Erinnerung waren das immer schöne Feste. Gute, liebevolle und kritische Gespräche. Feines Essen. Zusammengehörigkeitsgefühl. So, wie sich in meinem Gefühl nach „Familie“ anfühlt.

Ich möchte nicht einfach übergehen zur Normalität. Denn die gibts wohl nicht mehr. Wenn die Eltern tot sind, ist wohl auch die gefühlte Kindheit zu Ende.
Willkommen im Leben.

Abstand halten

Was in den letzten Tagen so abgegangen ist, hätte ich mir nie träumen lassen. Es fühlt sich irgendwie an, als wären wir alle Charaktere in einem Stephen-King-Roman. Ich fühlte und fühle mich wie in einer Art Tunnel. Alles verändert sich grad sehr schnell, dass ich gar nicht nachkomme mit realisieren, was es für mich, für uns bedeutet.

Gestern abend dann schaffte ich es mit meinen Eltern zu telefonieren. Ich war emotional, sie gar nicht. Für sie ist das Abgeschnittensein von der Welt „da draussen“ seit vielen Monaten Realität. Durch die Gehbehinderung meines Vaters sind sie arg eingeschränkt in all ihrem Tun und bestimmt nicht die Art Rentner, die andere nerven oder in Cafés rumhängen. Mit dem Rollator kommt mein Vater da nicht mal mehr rein.

Sie nehmen alles recht gelassen. O-Ton mein Vater: „Das ist nicht mein Virus.“ Und er hat damit nicht unrecht, aber auch nicht recht.
Was ihn, den 72jährigen sportbegeisterten Mann beschäftigt, ist die Tatsache, dass kein Live-Sport mehr läuft. Mir war gar nicht bewusst, wieviel Halt ihm das im Alltag des Älterwerdens gab.

Das einzige, was ihnen jetzt noch bleibt für ihre psychische und körperliche Gesundheit ist der tägliche Spaziergang. Nicht auszudenken, wie es ihnen gehen würde, wenn es eine Ausgangssperre gäbe.

Zu gerne würde ich jetzt bei ihnen sitzen, Kaffee trinken und meinen Vater umarmen. Aber auch diese Türe ist mit einmal zu und ich hasse es zutiefst. Ich bin ein eher introvertierter Mensch, so dass ich nicht mal so sehr unter den reduzierten Sozialkontakten leide. Aber die Umarmungen meiner Freundinnen und Freunde, meiner Eltern, die vermisse ich.

Blut ist dicker als Wasser

Ich fand diesen Spruch schon als Kind blöd. Ich verstand ihn lange nicht. Als ich es tat, war es noch nicht zu spät.

Als ich mitten in der Betreuerinnenausbildung steckte, behandelten wir auch das Thema Sterben und Tod. In einem Gespräch mit einem Freund äusserte ich, dass ich meine Mutter niemals pflegen oder bis zum Ende begleiten würde. Ich war so voll kindischen Zorns auf sie, dass nur schon die Vorstellung mich auf sie einzulassen, unvorstellbar war.

Im Juli 2007, ich war gerade 30 Jahre alt geworden, erfuhr ich, dass sie todkrank war. Seltsamerweise musste ich nun keine Sekunde überlegen, ob ich mich um sie kümmern würde. Ich wusste es einfach.

Gestern hatte ich Geburtstag. Ich weiss nicht, ob meinem Vater bewusst war, dass ich 42 Jahre alt wurde. Er lächelte mich mit diesem liebevollen, weisen und auch kindlichen Blick an, der all die Trauer eines Lebens spiegelt. „Ich hoffe, du bekommst nie diese Krankheit“, flüsterte er.

Blut ist dicker als Wasser, im besten wie im schlimmsten Fall. Weinen und Traurigsein nützt nicht viel. Das braucht zu viel Energie und leider sind wir alle keine Alpensteinböcke. Ich rief mir das Bild vor Augen, wie sie in steilsten Wänden herumkraxeln und ihr Leben meistern: Man setzt einfach immer einen Schritt vor den nächsten, lässt sich vom Abgrund nicht gross beeindrucken. Und ab und zu knabbert man an Moos.

Da sitze ich nun

Da sitze ich nun, liebe Mutter und denke an dich.
Ich bin bald nicht mehr 40 Jahre alt und vermisse
dich dennoch so sehr wie damals, als ich noch ein Kind war.

Wir sind uns ähnlich, besonders jetzt, da ich älter werde.
Deine Stimme höre ich oft, wenn ich wütend spreche.
Doch im Gegensatz zu dir bin ich nicht mit dunklen Haaren gesegnet.
Ich bin dunkelblond. Und das macht die Sache schwieriger.
Genau gleich gross wie du damals und
wahrscheinlich etwas runder.

Ich bin meinem Vater aus dem Gesicht geschnitten.
Die Augen. Die Gesichtsform. Die Zähne. Unverkennbar ein Debrunner.
Doch der Rest ist von dir.
Das Herz. Der Körper. Die Stimme.

Wir beide liebten das Schreiben. Wenn ich heute deine wütenden
Texte lese und mich an all jene erinnere, die verschwunden sind, möchte ich
weinen. In der Sprache, da sind wir uns so ähnlich, mehr noch als Tochter und Mutter, Freundinnen.
Du nahmst nie ein Blatt vor den Mund und schon gar nicht erst vor den Kugelschreiber!

Als du so alt warst wie ich, warst du fünf Mal schwanger und hast
längstens drei Kinder geboren. Du liebtest Kochen und Handarbeiten und
Filme. Dank dir habe ich so viele Filme aus den 30ern, 40ern und 50ern kennengelernt.

Manchmal bin ich schrecklich eifersüchtig, wenn ich Mütter in deinem Alter
mit ihren Töchtern sehe und wünschte mir, du wärest noch da. Würdest mich stolz ansehen.
Ich weiss noch, als wenn es heute wäre, wie du gewettert hast, dass ich mir so viele Tage mit meiner Geburt Zeit gelassen habe. Du wolltest mich am 7.7.77 zur Welt bringen, aber ich
hab dir damals einen ziemlich miesen Strich durch deine Rechnung gemacht. Es tut mir nicht leid,
denn mein Geburtsdatum gefällt mir besser.

Dennoch vermisse ich dich von ganzem Herzen und denke an dich, besonders an meinem Geburtstag, aber auch sonst. Du meine liebe Mutterfrau.

Gedenkfeier

Ehrlich gesagt hatte ich nicht erwartet, dass ich zehn Monate nach Omis Tod zu einer Gedenkfeier des Pflegeheims eingeladen würde. Es war kein leichter Nachmittag für mich.

Dass ich keinen Parkplatz mehr fand, als ich zum grossen Pflegeheim im Toggenburg fuhr, war eine Sache. Ich war ein wenig verzweifelt. In ganz Ebnat-Kappel prangen unfreundliche Parkverbotsschilder, die mich und mein Auto drakonische Strafen erwarten liessen. Dass ich schlussendlich bei der Gemeindeverwaltung (auf Nachfrage) parkieren durfte, fand ich grossartig.

Omi hat nicht im grossen Pflegeheim Wier gelebt, sondern im kleineren. Im Speer. So heisst nämlich einer der Berge im Tal. Vor über einem Monat wurde ich zur Gedenkfeier 2017 eingeladen.

Der Reihe nach wurden die verstorbenen Bewohner und Bewohnerinnen des Jahres erwähnt. Omis Name fiel ziemlich am Anfang. Die Pflegedienstleiterin Frau R. beschrieb in liebevollen und respektvollen Worten die Lebensgeschichte der Verstorbenen, erzählte Anekdoten, die schmunzeln und nachdenklich werden liessen. Für einige Momente waren all jene verstorbenen Menschen wieder in jenem Raum anwesend.

Ich empfand die Atmosphäre anfangs sehr drückend. Ich musste weinen. In diesem Raum waren lauter Menschen anwesend, die innerhalb der letzten Monate einen ihrer liebsten Menschen verloren hatten. Dank der spirituellen Begleitung der Pfarrerin, des Kaplans und des Predigers zerfloss die Schwere des Moments. Frau R. gelang es immer wieder mit ihren Worten, die geliebten Menschen vor Augen und ins Herz zu halten, sich ihrer zu erinnern, zu trauern und sich mit ihrem Tod zu konfrontieren.

Für Momente wurden all jene toten Menschen ihrer Anonymität entrissen. Sie erhielten einen Namen, eine Lebenszeit und eine Geschichte. Tränen flossen. Kerzen wurden angezündet. Umarmungen ausgetauscht. Wir alle erfuhren mehr über all jene letzten Monate und Tage jener Menschen, die in diesen Mauern gestorben sind.

Es war nicht erschreckend, sondern erstaunlicherweise mutmachend. Wir, die Überlebenden erfuhren von Kämpfen ums Leben und den Tod, von grossen Liebesgeschichten. Überhaupt, die Liebesgeschichten waren in der Überzahl. Dass Menschen so sehr lieben können, selbst und erst recht im Angesicht des Todes, hat mich sehr bewegt. Liebe hat kein Alter.

Mich berührte Frau R.’s kurze Geschichte über Omi Paula. Letzten Dezember kam der Samichlaus in Omis Pflegeheim vorbei. Er fragte, wer denn ein Sprüchli aufsagen könnte. Omi meldete sich.
Sie sagte zum Samichlaus: „Ta tamm ta tamm ta tamm ta tamm… und…? weisst du auch eines?“

Ich musste lachen und weinen gleichzeitig, als ich diese Geschichte hörte.
Das war Omi, wie sie leibte und lebte am Ende ihres Lebens, knapp einen Monat vor ihrem Tod.
Omi fehlt so.
Das hab ich bemerkt heute nachmittag.
Mir fehlt ihre liebe Art.
Ihre Sprache.
Die sanfte Berührung ihrer schönen Hände.

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Ich bin noch immer sehr dankbar, dass mein Omi Paula im Pflegeheim Speer, das zum Pflegeheim Wier Ebnat-Kappel SG gehört, sterben durfte. Sie wurde bis zu ihrem letzten Tag liebevoll begleitet. Ich weiss, das ist in der heutigen Zeit nicht selbstverständlich. Ich möchte all jenen Frauen und Männern meinen Dank ausdrücken, die ihre Lebenskraft für Menschen in Omis Alter einsetzen.

Der Grabstein

Heute habe ich mich (endlich) wieder auf den Friedhof gewagt. Ende September wurden die Gräber rund um Opis Grab aufgelöst. Für mich war das sehr emotional. Ich habe Opi an Weihnachten 1996 einige Tage vor seinem Tod das letzte Mal gesehen. An der Beerdigung durfte ich ihn nicht mehr besuchen. Er ist, neben meinem Bruder, der einzige unserer Familie, der eine Erdbestattung hatte. Jetzt ist alles weg.

Die Künstlerin, die den Grabstein meiner Omi gestaltete, lud mich heute morgen ein, den Stein anzuschauen. Wiederum ein emotionaler Moment für mich. Als ich den Grabstein jedoch sah, war ich sehr glücklich. Genau so hatte ich ihn mir vorgestellt. Er drückt all das aus, was ich empfinde.

In den nächsten Tagen wird sie den Grabstein setzen. Ich bin froh, dass ich das alles hinter mir habe. Es hat mich beschäftigt. Die Verantwortung für die Umsetzung von Omis letztem Willen lastete auf mir, trotz aller Gespräche, trotz der inneren Klarheit.

Ich bin verletzlich. Omis Tod ist nicht spurlos an mir vorbei gegangen. Ich habe meine liebe Vor-Mutter, meine Freundin verloren. Ich vermisse ihre Stimme, ihre Hände und ihre lieben Worte so sehr.

Seit wenigen Tagen gibt es ein neues Grab an ihrer Seite. Omi hätte wohl gesagt: „Jetzt hab ich ein Gschpänli.“

Die Suche nach einem Grabstein für Omi

Omi Paula ist fünf Monate tot.
Jetzt ist die Zeit da, wo wir uns Gedanken über ihren Grabstein machen.
Ich hatte ehrlich gesagt, keine Vorstellung davon, wie dieser aussehen sollte.
Da Omi aber immer so stolz auf Opas wunderschönen Stein war, fand ich die Vorstellung schön, dass in ihrem ein Stück davon enthalten sein sollte.

Ich wandte mich an die Bildhauerin in unserem Städtli. Ihre Werke waren mir aufgefallen, weil sie schlicht und schön sind. Würde sie uns helfen können?

Als wir in ihrem Atelier sitzen, überkommt mich mit einem Mal eine grosse Traurigkeit.
Omis Tod ist Realität. Wir suchen den Grabstein aus. Sie kommt nie mehr wieder.

Wir besprechen, was möglich ist, darüber, wie Omi war.
Stark war sie, fällt mir ein. Sie hatte einen Willen wie ein Stier.
Und dann muss ich an ihr Herz denken. Ihre Liebe zu mir.

Die Bildhauerin macht uns schliesslich einen Vorschlag, der so wunderbar ist, dass es mich tief berührt. Wieder weine ich.

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Dieses Bild hat Omi sehr geliebt. Es zeigt sie, während sie, ganz die vorbildliche Hausfrau mit Lappen und Grabsteinreiniger, Opas Grabstein putzt. Während sie dies tut, platzt es aus ihr heraus: „Schau mal, der daneben putzt seinen Grabstein auch nie!!“ Noch Jahre später, solange sie sich erinnern konnte, lachte sie schallend über dieses Foto.

Rosentränen

Gestern fuhr ich durch Weinfelden und erblickte beim Pflegeheim eine alte Frau, die genauso an ihrem Rollator ging wie Omi damals. Für einen Moment lang dachte ich: „Omi!“, um im nächsten Moment zu wissen: Nie wieder. Tränen fliessen.

Gestern nacht regnete und stürmte es stark bei uns im Toggenburg. Heute morgen erblühte die erste Damaszener Rose. Als ich um sieben Uhr das Haus verliess, dachte ich: das ist jetzt der erste Sommer ohne Omi.

Am Nachmittag dann habe ich mich (endlich) dazu überwunden, mit der Bildhauerin Kontakt aufzunehmen. Ich möchte so gerne, dass sie etwas mit Opas Grabstein macht, wenn das Grab im September aufgelöst wird. Omi hat den Grabstein sehr gemocht und ich muss sagen, dass er nach 20 Jahren noch immer frisch aussieht.

Wir haben auf unserer Wöschhänki wieder Leintücher als Sonnensegel aufgehängt, so wie Omi damals vor 30 Jahren.

Omi, ich vermiss dich so.

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