Macht uns Corona zu besseren Menschen?

Die letzten paar Wochen waren für uns alle hart. Viele von uns haben menschliche Kontakte gemieden – und darunter gelitten. Ich bemerke beim Schreiben gerade, dass ich „uns“ und „wir“ sehr viel mehr gebrauche. Es scheint mir, dass zumindest beim Reflektieren jeglicher Egoismus für den Moment abgelegt ist. Schliesslich geht es jedem „in dieser schwierigen Situation“ gleich. Und doch nicht.

Wenn ich Menschen treffe, ich gebe zu, das fehlt mir nach wie vor schwer, fühle ich mich unbeholfen. Es scheint, als wäre ich aus der Übung, guten Freunden, meinen Eltern gegenüber zu sitzen. Darf ich jetzt die Hand geben? Oder doch lieber nicht? Was soll ich im Kontakt mit einem anderen Menschen tun, wenn ich diesen doch immer zur Begrüssung herzlich umarmt habe? Worüber sprechen?

Die letzten Wochen haben jeden von uns – schon wieder! – geformt. Die einen hatten wenig Arbeit, Angst um ihren Job, wiederum andere sind vor lauter Arbeit fast ersoffen. Andere wiederum haben x Wochen ihre Kinder zuhause gehabt, von zuhause gearbeitet. Erholung wie früher ist mit einem Mal ein Fremdwort.

Beeindruckt haben mich aber Aussagen wie „die Verlangsamung hat mir gut getan“ und „weniger Sitzungen – auch nicht verkehrt“. Zeigen sie nicht auf, dass zumindest das etwas Gutes an der ganzen schwierigen Phase in unser aller Leben war und ist? Wir Menschen sind offenbar nicht nur für Schnelligkeit und Stress gemacht. Es kann uns auch wirklich gut gehen, wenn es etwas entschleunigt zu und her geht.

Mühe macht mir nach wie vor die Tatsache, dass ältere Menschen in Pflegeheimen, Menschen mit Beeinträchtigung in Wohnheimen, Sterbende nur beschränkt Kontakt zu ihren Angehörigen haben können. Das ist in meinen Augen eine menschliche Katastrophe und es macht die ganze Chose nicht besser, wenn gewisse Menschen diese Personengruppen per se mit „die wären ja eh gestorben“ betiteln.

Ich vermisse den Kontakt zu meinen Eltern. ich möchte mit ihnen zusammensitzen, Kaffee trinken, zuhören, reden und ihnen einfach nahe sein. Gerade für Menschen mit einer Demenzerkrankung ist doch der menschliche Kontakt, die Nähe, die sinnliche Erfahrung des Gegenübers so wichtig.

Etwas anderes habe ich aber in den letzten Tagen auch noch erfahren: Die Corona-Situation macht viele von uns sensitiver. Noch selten zuvor habe ich mit Männern und Frauen so tiefe, persönliche und offene Gespräche geführt wie jetzt.

Jeden bewegt etwas: die Sorge um die eigenen, alten Eltern, das Bemerken des sich Fremdfühlens, das Wahrnehmen von Verunsicherung, Angst um den Arbeitsplatz, das Fehlen der Freunde.

Ich hoffe ganz fest, dass diese Kompetenz des Redens, ja des Aussprechenmüssens weiter anhält, denn sie macht uns Menschen zu wirklich echten, guten, feinfühligen Menschen.

Abstand halten

Was in den letzten Tagen so abgegangen ist, hätte ich mir nie träumen lassen. Es fühlt sich irgendwie an, als wären wir alle Charaktere in einem Stephen-King-Roman. Ich fühlte und fühle mich wie in einer Art Tunnel. Alles verändert sich grad sehr schnell, dass ich gar nicht nachkomme mit realisieren, was es für mich, für uns bedeutet.

Gestern abend dann schaffte ich es mit meinen Eltern zu telefonieren. Ich war emotional, sie gar nicht. Für sie ist das Abgeschnittensein von der Welt „da draussen“ seit vielen Monaten Realität. Durch die Gehbehinderung meines Vaters sind sie arg eingeschränkt in all ihrem Tun und bestimmt nicht die Art Rentner, die andere nerven oder in Cafés rumhängen. Mit dem Rollator kommt mein Vater da nicht mal mehr rein.

Sie nehmen alles recht gelassen. O-Ton mein Vater: „Das ist nicht mein Virus.“ Und er hat damit nicht unrecht, aber auch nicht recht.
Was ihn, den 72jährigen sportbegeisterten Mann beschäftigt, ist die Tatsache, dass kein Live-Sport mehr läuft. Mir war gar nicht bewusst, wieviel Halt ihm das im Alltag des Älterwerdens gab.

Das einzige, was ihnen jetzt noch bleibt für ihre psychische und körperliche Gesundheit ist der tägliche Spaziergang. Nicht auszudenken, wie es ihnen gehen würde, wenn es eine Ausgangssperre gäbe.

Zu gerne würde ich jetzt bei ihnen sitzen, Kaffee trinken und meinen Vater umarmen. Aber auch diese Türe ist mit einmal zu und ich hasse es zutiefst. Ich bin ein eher introvertierter Mensch, so dass ich nicht mal so sehr unter den reduzierten Sozialkontakten leide. Aber die Umarmungen meiner Freundinnen und Freunde, meiner Eltern, die vermisse ich.