Mein Vater liebte viele Jahre den Sommer. Es konnte ihm nie warm genug sein.
Ich liebe den Sommer und verleibe ihn mir ein. Ich liebe die Hitze, die Schwüle, das starke Grün der Blätter.
Der Sommer war immer meine liebste Jahreszeit. Sommer war für mich seit frühester Kindheit an eine absolut ambivalente Zeit: Es konnte kühl sein, so dass Omi Fondue auftischte oder so heiss, dass wir uns von Cipollata und Rösti ernährten. Ich liebte als Kind beides.
Die Erinnerungen an den Sommer mit Omi und Opi sind sehr präsent. Im Sommer waren wir uns immer nahe. Der Sommer 1996 war unser letzter als Familie. Danach entfernten wir uns langsam. Opi erkrankte an Leberkrebs, ich erholte mich von einer Kiefer-OP. Wir führten einige gute Gespräche, deren Wert ich erst nach Opis Tod erkannte.
Seit ich ca 32 Jahre war, feierte ich meine Geburtstage mit meinem Vater und seiner Frau. Wir waren uns immer nahe. Die Geburtstage taten ihr übriges, Wir feierten jeweils ein Fest des Lebens mit unseren Freunden. Das habe ich immer sehr schön gefunden, weil es mir aufzeigte, wie wichtig es ist, (als Kinderlose) ein Netz von Freunden um sich zu wissen.
Wir feierten einfach den jeweiligen Tag. Meine Eltern begingen ihre Geburtstage im tiefsten Winter, ich den meinen im Hochsommer.
In wenigen Tagen werde ich 44 Jahre alt und es wird der erste Geburtstag in meinem Leben ohne meinen Vater sein. Ich habe wenig Ahnung, wie ich damit umgehen soll. Er fehlt mir einfach sehr. Vor einigen Tagen bekam ich von seiner Frau seinen ersten Ehering, seine Fischhalskette und seinen „Grabstein“. Jetzt bin ich Besitzerin von zwei solchen Relikten aus dem Militär.
Ich fühle mich reich beschenkt, weil ich einen liebenden, treusorgenden und sensiblen Vater an meiner Seite wusste. Ihn loszulassen kostet mich viel, weil seine Nähe, seine Liebe nicht missen mag. Ich wünschte mir sehr, dass er an meinem Geburtstag da wäre, aber ich bin auch dankbar, dass er gehen konnte in jener Zeit, wo er so sehr litt.
Diese Ambivalenz zwischen Leben und Tod, diese Lust am Leben und gleichzeitige Dankbarkeit gehen zu können, wenn das Leben zu schwer wird, macht mich demütig. Mein Vater war so lebenslustig, aber auch bescheiden. Er liebte das Leben sehr, hatte Freude an Begegnungen und Erfahrungen.
Mein Vater liebte viele Jahre den Sommer. Es konnte ihm nie warm genug sein.
Ich liebe den Sommer und verleibe ihn mir ein. Ich liebe die Hitze, die Schwüle, das starke Grün der Blätter.
