Vom Glück der Erinnerung

Nun ist es über ein Jahr her, seit wir alle in eine Art verordnete Käseglocke gesteckt wurden. Ich verspüre Sehnsucht nach dem Leben von vor einem Jahr oder nur dem schon von vor einigen Monaten. Es scheint mir alles irgendwie sehr surreal. Ich erinnere mich an vieles, das mir längst fern scheint. Wie fühlt sich ein Restaurantbesuch an? Wie Krafttraining in einem Fitnesscenter?

Doch das ist nur die eine Seite.
Ich stecke mitten in einer Phase vertieften Lesens und Lernens, neben der Arbeit. Man könnte sagen, es fühlt sich fast so wie eine Art Flow an. Die Dinge gehen mir leicht von der Hand, sei es beim Schreiben, am Arbeitsplatz oder bei der Führung des Haushalts. Beim Kochen. Beim Entsorgen von Gegenständen meiner Eltern und Grosseltern. Es fühlt sich leicht und richtig an.

Ich bin ganz begierig nach Bildung, nach neuen Erkenntnissen, nach Büchern, nach echtem Austausch mit anderen Menschen. Ich lese Zeitungen und Zeitschriften, gestalte Collagen und denke darüber nach, wie ich den Schermäusen im Garten Herrin und den Rasen vertikutieren werde. Ich kann es kaum erwarten, bis es wärmer wird. So möchte ich meine Kräuter wachsen sehen und kochen, feine Brote backen und abends nach der Arbeit in den Wald gehen.

Das Zuhause als wunderbarer, behaglicher Ort bestätigt sich in meinem Leben als gute Entscheidung. Ich liebe mein Haus, weil es so schön und alt und aus Holz gebaut ist. Deshalb verspüre ich wohl auch kein Fernweh. Hier finde ich alles, was mein Herz braucht, um gesund zu bleiben. Ich denke oft an meine Eltern und Grosseltern und was wir all die Jahre hier in diesem Haus gemeinsam erlebt haben. Die Erinnerung an das, was war, und was ich verloren habe, könnte schwer wiegen. Dennoch fühle ich anders: Das Glück, dass ich hier aufwachsen konnte, von meinen Grosseltern und Eltern geliebt wurde und heute hier leben darf, wiegt den Verlust ihres Todes auf.

Im Toggenburger Jahrbuch 2021 las ich vor einigen Tagen einen Text der wunderbaren Hildegard E. Keller, die ebenfalls hier oben aufgewachsen ist. In „Reise durchs Toggenburg in meiner Wohnung“ schreibt sie über die Begegnung mit Gegenständen, die sie all die Jahre vom Toggenburg aus mit in die Welt genommen hat. „Meine Wanderung führt mich in einen Mikrokosmos des maximal persönlichen, es ist eine Reise der Erinnerung. Durch jahrtausendelanges Training ist das Erinnern so stark geworden, dass es Menschen über Generationen hinweg verbindet. Die griechische Kultur nennt sie Mnemosyne.“

Frühling auf geplatzter Haut

Ich bin froh, kommt nun der Frühling. Er ist meine liebste Jahreszeit. Ich plange drauf, dass die Bäume und Blumen wieder blühen. Das erste Viertel des Jahres ohne meinen Vater ist um. Weihnachten und sein Geburtstag liegen hinter mir.

Vor einem Jahr, als die Pandemie anrollte, haben wir kurz übers Kranksein gesprochen. Vielmehr aber noch über die Freiheit. Rausgehen. Die Natur erleben. Das war sein grösster Wunsch. Und auch meiner.

Wenn ich im Garten arbeite, bin ich meinem Vater nahe. Das fühlt sich an wie eine sanfte Umarmung. Ich vermisse unsere Umarmungen. Seine Stimme. Mein Blick auf die Linde in meinem Garten, die er hasste: „Der Baum gibt zu viel Schatten. Der macht dir das Haus kaputt.“

Da ist die Erinnerung daran, wie wir vor 10 Jahren unsere Krähe Fritzi aufgezogen haben. Papi hat sie gerettet, im Wissen, dass man sie auf jener Weide vermäht hätte. Er rief mich an und sagte: „Komm vorbei. Ich habe eine Krähe gefunden und ziehe sie auf.“ Ich kam so schnell ich konnte, denn ich erinnerte mich daran, dass mein Vater das schon einmal getan hatte. Als Bub hatte er eine weisse Krähe. Die war zahm und folgte ihm auf Schritt und Tritt, sogar bis in die Schule. Auf Geheiss des Lehrers, ein Grund, warum mir Lehrer wohl immer unsympathisch bleiben werden, musste er sie abgeben. Mein Vater erzählte mir, sie sei dann in den Plättlizoo nach Frauenfeld gekommen. Belegen kann ich das leider nicht. Aber wenn mein Vater das sagt, dann muss das wohl gestimmt haben.

Ich frag mich, ob nun meine Trauerzeit bereits beendet ist. Was da noch kommt. Ich weiss: Da ist Ostern, wo wir immer fein essen gingen. Mein Geburtstag im Juli. Da haben wir ebenfalls gemeinsam gefeiert. Der 1. August. Den feierten wir nicht mehr so sehr, seit wir nicht mehr bei Frauenfeld wohnten. In meiner Erinnerung waren das immer schöne Feste. Gute, liebevolle und kritische Gespräche. Feines Essen. Zusammengehörigkeitsgefühl. So, wie sich in meinem Gefühl nach „Familie“ anfühlt.

Ich möchte nicht einfach übergehen zur Normalität. Denn die gibts wohl nicht mehr. Wenn die Eltern tot sind, ist wohl auch die gefühlte Kindheit zu Ende.
Willkommen im Leben.

Mein Blick zurück auf 2019

Ich blicke zurück auf ein sehr arbeitsintensives Jahr. Ich las viel, schrieb einige Texte, nichts Grosses.
ich habe auf meinem Blog Querfeldeins einige Bücher rezensiert, was mir grossen Spass bereitete. Dann schrieb ich beinahe täglich an meinem Bulletjournal, probierte verschiedenste Stifte aus, zeichnete viel. Im Herbst begann ich wieder damit, meine Lieblingssprachen zu trainieren: Französisch, Englisch und Latein. Ich kann das jedem empfehlen. Es macht wirklich Spass.

Ich konzentrierte mich dieses Jahr ganz auf den Beginn meiner Jagdausbildung. Ich verbrachte viel Zeit draussen und bemerkte – einmal mehr – wie gut mir das tut. Mein aus dem Thurgau stammender Name “Debrunner” bedeutet übersetzt ja schliesslich auch “Hirschtränke”.


Die Auseinandersetzung mit der Natur und allem Lebenden stärkte mich. Je mehr ich mich mit dem Wald und seinen Lebewesen befasse, desto kleiner und unwichtiger fühle ich mich. Gleichzeitig fühle ich mich verbunden. Ich kann an keinem Baum mehr vorüber gehen, ohne zu bewundern, wie stark und schön er ist und zu erkennen, wie lange es dauerte, bis er zu dem wurde, was er ist. Ich mache mir Gedanken über Lebensräume, und wie wir den Tieren immer mehr davon wegnehmen.

Unser Garten hat mich ebenfalls in seinen Bann gezogen: Er ist wilder denn je. Und mit jedem Jahr scheint mir, dass noch mehr Tiere, vor allem Vögel und Schmetterlinge, hierher in den Garten des Paulahauses kommen. Ich liebe es, sie zu beobachten. Ich pflanzte weitere Rosenstöcke an, damit auch die Bienen nebst den vielen Wildblumen etwas Schönes finden. Ich freue mich darüber, dass nun auch Eichhörnchen unsere Gäste sind.

Einige Male sind wir zur Neu-Toggenburg hinauf gewandert. Dieser Ort hat eine grosse Anziehungskraft auf mich. Dort oben werde ich ruhig. Ich sitze dann da, schaue den Krähen und den Raubvögeln zu, wie sie ihre Runden über dem Neckertal und oberhalb Lichtensteigs drehen. Ich geniesse den Blick über die Weite.

Ich verbrachte viele schöne Abende mit lieben Menschen bei gutem Essen, Gesprächen und Wein. Meine Liebe zu Lichtensteig ist weiter gewachsen. Ich besuchte Führungen, das Museum und fühle mich sehr daheim. Manchmal, wenn ich durch die Strassen der Altstadt gehe, denke ich: Hier ist bestimmt auch mein Uropa durchgelaufen. Mich tröstet das über vieles hinweg. Ich fühle mich ihm und unserer Familie dadurch verbunden.

Dann denke ich an all jene Menschen, die ich in diesem Jahr verloren habe. Es gehört zum Lauf des Lebens, dass die einen Menschen den Zug vor einem verlassen. Doch es macht mich sehr traurig. Was bleibt, sind die Erinnerungen an Gespräche und Begegnungen und die Dankbarkeit, diese Menschen gekannt haben zu dürfen.

Ich wünsche euch, liebe Leserinnen und Leser dieses Blogs alles Liebe zu Weihnachten, gute Begegnungen, die Möglichkeit Freundschaften zu schliessen und das Leben zu lieben. Danke, dass ihr da seid.

Glück im Garten

Glücklich war Omi immer dann, wenn sie in ihrem Garten war. Irgendwie wuchs einfach alles, wenn sie es pflanzte. Erdbeeren, Bohnen, Kartoffeln, Salate, Johannisbeeren. Ihre Beete waren makellos.

Vielleicht hat es mich darum vor bald 12 Jahren so schockiert, als Omi von einem Tag auf den anderen einfach ihren Garten platt walzen liess. Die alten Terrassenmauern waren einfach weg. Ich verstand es nicht. Aber für Omi stimmte es. Heute denke ich, sie hat wohl gespürt, dass etwas nicht mehr mit ihr stimmt. Und weil sie ihren Garten so liebte, wollte sie ihn wohl nicht verkommen lassen.

Die Rosen blühen. Es ist, wie wenn nichts wäre. Ich hab heute fast geweint, als ich die vertrockneten Blüten wegschnitt. Ich dachte an Omi. Manchmal sitze ich in meinem Atelier und schaue zum Gartentor raus und denke: Sie kommt nicht mehr wieder. Ich vermisse ihre fröhliche Stimme. Ihr Gesicht, wenn sie mich erblickte und wenn wir uns in die Arme schlossen. Ich vermisse ihr krauses, grauschwarzes Haar, den gebückten, zarten Körper und ihre wunderbar langen Hände.

Ich habe weitere Rosen angepflanzt. Ich will, dass es in unserem Garten blüht. Der Garten soll ein Zuhause für Bienen, Hummeln und Vögel sein.

 

Der Garten und ich

Mein Garten und ich gleichen uns.

Nach diesem Winter, der fast alles Lebendige in uns zerstört hat, wächst alles nun umso schneller.
Ich bin zu langsam für meine Trauer.

Der Garten blüht.

Ich stehe da und schaue den Blumen zu, wie sie sich im Wind bewegen.
Ich denke, es geht alles so schnell. Zu schnell für mich.
Ein Monat, zwei Monate, drei Monate, vier Monate bist du schon tot und das Leben geht weiter.

Ich denke an die Spuren, die du in mir und im Garten hinterlassen hast.
Die Pflanzen, die du all die Jahre gehegt hast.
Die Bäume, die du geliebt hast.
Die Liebe, die du uns gegeben hast.

Ein geliebter Mensch hinterlässt immer Spuren.
In unseren Herzen.
In meiner Erinnerung.
Ach Omi, du fehlst mir so sehr.

omi auf der treppe
omi und zora

Im Garten

Heute habe ich zum ersten Mal wieder im Garten gearbeitet seit Omi nicht mehr da ist. Es war seltsam.

Ich habe die Tannzapfen unter der Tanne zusammengelesen. Omi hat die immer getrocknet und zum Anfeuern gebraucht. Wir tun es ebenso. Ich schneide die Rosen, die schon da waren, bevor Omi hier eingezogen ist vor über dreissig Jahren. Sie hatte immer grosse Freude, wenn ich ihr im Garten half, als sie es nicht mehr selber tun konnte.
Sie stand dann jeweils neben mir, schaute mir zu und motivierte mich.

Schon nach dem ersten Schnitt meinte sie jeweils: „Da chunnt guet.“ oder „Da machsch du guet, Meitli.“ oder „Bist du sicher, dass du das tun magst? Ist es nicht zu viel? Du arbeitest doch sonst so hart.“

Ich mochte es immer, für Omi im Garten was zu machen. Manchmal träumte ich davon, einen eigenen Garten zu haben.

Die Hortensienbüsche hat sie besonders geliebt. Sie hat sie vor einigen Jahren gepflanzt. Sie sind gewachsen und blühen jeden Sommer um meinen Geburtstag herum. Während ich die Stengel schneide, fährt es mir durch den Kopf: „Dieses Jahr bist du nicht dabei, Omi.“

Ich fange an, den Kompost umzuschichten und muss lächeln, weil Omi in ihren letzten Jahren im Haus so ziemlich alles im Kompost entsorgt hat. Die Sieberei war jeweils eine wahre Überraschung.

Meine Traurigkeit wird nicht weniger. Heute dachte ich mehr als einmal: gleich kommt Omi ums Haus und bringt mir einen Kaffee oder streichelt meinen Rücken.

„Warum bist du traurig?“, denke ich.
„Du fehlst, Omi.“

Rosentrost

Heute ist der neunte Todestag meiner Mutter.
Anders als in anderen Jahren habe ich heute noch nicht geweint. Ich bin nicht unglücklich darüber. Wir fuhren am Morgen in die Landi, um den Grabschmuck für Allerheiligen zu kaufen. Seit Jahren schmücke ich um diese Zeit ihr Grab neu. Heute leuchtet die Sonne nochmals richtig golden, so wie an jenem Tag, als sie starb.

Ich kaufte Callunas in weiss und lila. Ich weiss nicht mal, ob sie lila mochte. Kräftige Farben waren ihr Ding. Je knalliger, desto besser. Ich pflege ihr Grab und muss dran denken, dass sie sowas gar nie wollte. „Schütt‘ mich einfach aus!“, hat sie gesagt. Sie war nicht grossartig religiös, im Gegensatz zu Omi Paula. Diese bat mich nach Mamis Tod sofort: „Gell, das machen wir nicht. Wir können ihre Asche nicht einfach wegkippen. Ich will ein Gräbli, wo ich sie besuchen kann.“

So habe ich am Tag nach Mamis Tod hier im Städtli angerufen und darum gebeten, meine Mutter hier oben begraben zu dürfen. An meine Tränen und die Erleichterung, als der Mensch am Ende sagte: „Sie dürfen Ihre Mutter bringen“, erinnere mich so, als wäre es gestern gewesen.

Ich suche im Frühling und im Herbst aus, welche Blumen ich ihr bringe. Diesen Frühling habe ich ihr gelbe Blümchen und einen kleinen Rosenstock gepflanzt. Im Herbst wechsle ich die Pflanzen dann wieder aus. Was noch schön blüht, kommt in meinen Garten, was verblüht ist, kommt weg. Die Pflanzen sitzen immer locker in Mamis Grab. Ich entferne die gelben Blümchen, jäte und mache mich schliesslich an den Rosenstock. Doch der will nicht weichen, obwohl er klein ist.

Es scheint mir, als wehre er sich dagegen aus der Erde gezogen zu werden, in der die Asche meiner Mutter liegt. Ich streichle ihn. „Dann bleibst du bei ihr.“

Später am Vormittag mähe ich den Rasen und mache den Garten, so gut ich kann, winterfest. Der Rosenstock geht mir nicht aus dem Kopf. Seit ich hier in Omis Haus lebe, bin ich von Rosen umgeben. Anders als früher blühen sie und es scheint mir, als wären die Rosen mir näher als alle anderen Blumen in diesem verwilderten Garten.

 

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Während ich den Rasen wegbringe, kommt mir ein Gedanke:
Habe ich genug getrauert? Ist jetzt die Zeit da, das Herz frei für die Blüten des Lebens zu machen?

Sommermelancholie

Heute morgen arbeitete ich einige Stunden im Garten. Die Umgebung im Schuss zu halten, kostet Zeit, macht mir aber riesigen Spass. Ich verliere langsam den Ekel vor all den Insekten und Achtbeinern, die hier überall herumkriechen. Im Garten unterwegs zu sein, schafft Raum fürs Nachdenken. Das merke ich immer wieder.

Ich jätete heute das Beet beim Gartentor. Es war nicht voller Unkraut, aber doch so sehr, dass es sich lohnte, mit der Harke durchzugehen. Dann jätete ich das Tomatenbeet. Es steht dort, wo Omi schon vor dreissig Jahren bereits Tomaten geerntet hat. Ich entfernte eine Himbeerstaude, da ich unter all dem Zeugs einen wunderschönen, fruchttragenden Brombeerenstrauch entdeckt hatte. Den wollte ich frei legen. Beim Boden lockern entdeckte ich erneut Müll, den Omi hier „kompostiert“ hat: Brekkies-Aluminiumdeckel, verrottete Plastikstücke, Medikamentenblister.

Obwohl Omi Paula bald vier Jahre nicht mehr hier im Haus lebt, sind ihre Spuren noch deutlich. Erst kürzlich haben wir den Weichspüler aufgetrieben, den sie immer benützt hat. Jetzt riecht die Wäsche wieder so, als wäre sie erst gerade am Waschen gewesen.

Vor vier Jahren waren wir auf der Suche nach einem Heim für Omi Paula. Es scheint mir, als wäre es gestern und vor hundert Jahren gewesen. So viel ist seither geschehen. Manchmal, gerade wenn ich sehr glücklich bin, bedauere ich, dass Omi nicht mehr den Kontakt zu den tollen Menschen hier im Städtli gesucht hat. Sie hätte mit ihrer fröhlichen Art so gut hineingepasst.

Aber dann denke ich: genau das bringt die Demenz mit sich. Ein Mensch vereinsamt. Die Gedächtnislücken machen Angst und sorgen dafür, dass er oder sie sich nicht mehr unter Leute traut, weil man sich so sehr schämt und die Welt nicht mehr versteht. Der Umgang mit Demenz ist eine Aufgabe, die uns alle angeht, gerade in einer Gemeinschaft. Es scheint mir sehr wichtig, Menschen, die eine beginnende Demenz haben, nicht fallen zu lassen, sondern für sie da zu sein, sei es mit Einkaufen, gemeinsamem Kaffeetrinken oder ganz einfach Zuhören.

Lebe-Wesen

Seit Februar 2015 lebe ich nun hier im Haus und der zweite Frühling, der etwas verseicht daher kommt, ist nicht minder spannend als der erste.

Ich habe Pflanzen und Bäume gepflanzt. Nach einem Jahr Training mit dem alten Rasenmäher kann ich seine Röchel und Stöhner besser interpretieren. Fast immer bringe ich dieses Scheissteil zum Laufen.

Mit der Fadensense habe ich mich bisher nicht anfreunden können. Aktuell ist sie bei meinem Vater, der es absolut toll findet, mit ihr herum zu mähen (und Krach zu machen). Ich bin eher so der Handsensentyp. Abgesehen davon dass Sensenmähen reinstes Krafttraining ist, machen mir die Bewegungen Spass. Ich spüre, wie stark mein Rücken, meine Arme und meine Beine sind und das macht mich glücklich.

Was ich am Handmähen ebenfalls mag, ist die Tatsache, dass ich immer wieder auf Tiere stosse, die wohl sonst zerfetzt würden. Unser Grundstück ist nämlich feucht, steil und zeitweise etwas schattig, gleichzeitig gibt es sonnige Stellen, Steinplatten und Büsche.

Heute traf ich nach dem Rasenmähen auf eine etwas schockierte Blindschleiche. Ich hatte nie Angst vor schlangenartigen Lebewesen. Blindschleichen fand ich immer wunderbar schon als Kind. Lieber hab ich kein perfekt gepflegtes Grundstück, als dass ich auf tote Blindschleichen stosse.

Ich habe auch entdeckt, wie spannend ich Weinbergschnecken finde. Diese doch stattlichen Lebewesen habe ich in mein Herz geschlossen. Ich schaue ihnen gerne zu, wie sie sich bewegen. Ich freu auch, wenn sich die Bienen an den Wildblumen am Steilhang oder an den Rosen nähren.

Ich freue mich auch über jeden Besuch von Eidechsen, Blaumeisen und dem Eichelhäher. Ich hoffe, das Grundstück ist so gestaltet, dass es meinen tierischen Freunden gefällt.

Ein wenig bin ich melancholisch, denn vor fünf Jahren machte ich die wunderbarste Begegnung: ich lernte Fritzi, eine junge Krähe kennen. Gemeinsam haben wir als Familie die Krähe gefüttert, ohne sie von uns abhängig zu machen. Manchmal denke ich daran, wie schön es wäre, wenn sie jetzt hier auf unserem Land leben und nisten würde.

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Januar 2015

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Frühling 2015

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Frühling 2015

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Juni 2016

Gartenkraft

Vor zwei Jahren um diese Zeit war ich verzweifelt. Ich hatte Angst, dass ich das Haus, das mir nicht gehörte, verlieren würde. Diese Angst hat mich fast krank gemacht.

Heute ist alles anders. Ich lebe hier seit über einem Jahr und manchmal kommt es mir vor, als läge alles andere weit weg. Wenn ich jeweils morgens zur Arbeit fahre, laufe ich unter dem Friedhof vorbei, wo meine Mutter seit bald zehn Jahren liegt. Ich sende ihr einen stillen Gruss und bedauere es, dass sie nicht hier ist.

Wenn ich im Garten arbeite, den Rasen mähe oder jäte, ist mir Omi Paula sehr nahe. Sie hat hier jahrzehntelang den Laden geschmissen. Sie gärtnerte immer sehr gerne. Was immer Omi anfasste, blühte auf. Als ihre Demenz schlimmer wurde, verschwanden der Garten und auch ihre Zimmerpflanzen.

Dieses Jahr habe ich angefangen, Gartenbeete zu stechen. Das ist harte Arbeit, lohnt sich aber. Ich weiss noch immer, wo Omi bestimmte Dinge ausgesät hat. Die Mauer beim Waschbärenstall beherbergte jahrelang Tomatenstauden. Ich liebe Tomaten.

Die Johannisbeerbüsche sind ausgelichtet. Ich bin gespannt, wieviele Beeren es dieses Jahr gibt. Die Vögel haben Nester gebaut und zwitschern zur Freude unserer Katze ums Haus herum.

Da unser Grundstück nicht eben ist, hinter dem Haus ist es sogar richtig steil, kann ich nicht alle Wiesen mit dem Rasenmäher mähen. Es bleibt mir also nichts anderes, als mit der Sense von Hand zu mähen. Ich besitze zwar eine Fädelisägiss, aber die ist im Moment bei meinem Vater im Thurgau. (Er liebt dieses Teil!) Ich hingegen ziehe die Sense vor.

Ich denke darüber nach, dass wir Hühner anschaffen. Ich liebe diese Tiere so sehr. Am liebsten hätte ich Bartzwerge. Oder Seidenhühner. Moderne Englische Zwerg-Kämpfer find ich auch toll. Solange ich mich nicht entscheiden kann, lass ich es halt. Ein Hühnerhaus steht hier ja schon. Ich müsste nur noch eine schöne Volière bauen.

Ich bin mir bewusst, in welchem Paradies ich hier lebe, trotz fehlender Zentralheizung. Es ist einfach nur schön. Ich bin Omi sehr dankbar.