Vatertag

Offenbar ist heute in der Schweiz so eine Art Vatertag. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, ein paar Sätze über meinen Vater zu schreiben.

In meiner Erinnerung ist mein Vater ein viriler, offener, aber auch nachdenklicher und sehr sensibler Mensch. Er war ein Mann, der die Blicke auf sich zog, weil er auf faszinierende Art gut aussah. Er konnte mit (fast) jedem Menschen reden. Ein wenig erinnert er mich an Ed Harris im Film „Abyss“ und was sein Lächeln betrifft auch an Chris „The Rock“ Dwayne. Nur hatte er immer etwas mehr Haare und einen Bart und war bestimmt kein Muskelprotz.

Mein Vater war ein sehr fleissiger Mensch. Er hatte, was Farben und Malerei betrifft, ein Flair, das er aber seit seiner Kindheit nie gross genutzt hat. Die Zeichnungen, die er als Teenager angefertigt hat, sind grossartig. Er hatte ein Auge für Proportionen. Vermutlich hätte er richtig gut Appenzeller Malerei beherrscht. Sein Auge für Ästhetik hat er bei der Zucht von Kaninchen ausgelebt. Er hat sehr viel dazu beigetragen, dass verschiedenste Kaninchenrassen weiter entwickelt wurden. Er bekam sogar einen Nachruf in der „Tierwelt“. Anbetracht dessen, was er seit frühstester Jugend geleistet hatte, scheint mir das allerdings mager.

Mein Vater war kein religiöser Mensch. Der Katholizismus meiner Omi Paula hat ihn dann allerdings auf die Palme gebracht. Besonders als sie öffentlich mitteilte, sie wollte mit mir nach Lourdes reisen. Das war zuviel für ihn. Er hat nie viel von Kirchen gehalten. Als wir allerdings einmal mit Omi Einsiedeln besuchten – ich weiss noch immer nicht, warum wir das getan haben – war er leicht sprachlos. Er fand Einsiedeln schön, aber auch etwas prunkvoll. Zu viel für seinen thurgauisch-bescheidenen-prostestantischen Geschmack.

Als unsere Eltern sich trennten, setzte er sich dafür ein, dass wir bei ihm bleiben konnten. Unsere Mutter war nicht in der Lage für uns zu sorgen. Diese Entscheidung war wohl revolutionär im verstaubten, konservativen Thurgau von 1994. Ich erinnere mich dunkel daran, wie oft er beschimpft worden war. Einmal erhielt ich im Postauto nach Hause einen Fünfliber von einer älteren Dame, die sich nach meinem Namen erkundigte und dann sagte:. „Dein Vater ist ein Arschloch.“

Mein Vater war sehr dagegen, dass ich das Haus meiner Omi kaufe. Zu viele schlechte Erinnerungen waren für ihn wohl damit verbunden. Als es dann allerdings meines war, unterstützte er mich mit Rat und Tat. Und dafür bin ich ihm noch immer dankbar. Vielleicht waren diese Stunden, die wir gemeinsam alle hier verbracht hatten, die glücklichsten in meinem Erwachsenenleben. Ich freute mich immer sehr, wenn er und seine Frau bei uns waren, im Wissen, dass unser Garten nie an das heranreichen würde, was sie beide errreicht hatten.

Gestern abend traf ich im Hotel auf einen Mann, der mich sehr an meinen Vater erinnerte. Er war Mitte 70, im Rollstuhl, vielleicht von einem Schlaganfall halbseitig gelähmt. Er konnte kaum sprechen. Seine Frau oder Freundin, jedenfalls sein menschliches Gegenüber, leitete ihn an, bestellte für ihn, da er nicht wirklich klar artikulieren konnte, was er haben wollte. Er wünschte sich als Hauptgang zwei Kugeln Schoggiglace. Der Kellner nahm dies verständnislos an. Ich sass da und kämpfte gegen meine Tränen.

Ich erinnerte mich schlagartig an Situationen in Restaurants oder auf dem Parkplatz, wo er sich wegen seiner Beeinträchtigung schämte oder aber beschämt wurde. Ich wünschte mir so sehr, dass mein Vater nun da wäre und wir gemeinsam essen würden. Pasta. Dessert. Am Ende des Essens würden wir uns umarmen. Mein starker Vater verlor einfach so seine Lebenskraft. Sie zerfloss und wir konnten alle nichts dagegen tun. Auf Fotos, die zurückbleiben, wird es früh ersichtlich. Vermutlich hat er es schon Jahre vor Ausbruch seiner Krankheit gefühlt: Er sah zunehmend unglücklich aus. Er, der immer so sportlich und fit war, kämpfte plötzlich um jeden seiner Muskel. Scheiss auf die Krankheit!!

Heute morgen las ich einen sehr berührenden Text in der NZZaS von Sacha Batthyany . Für einen Moment kam vieles von dem in mir hoch, was ich bei Omis und Papis Tod verspürt hatte. Totale Verzweiflung, einen geliebten Menschen zu verlieren und gleichzeitig die Hoffnung, dass der geliebte, leidende Mensch endlich sterben kann. Ich weinte, weil ich mich schämte, glücklich und zugleich todunglücklich über Vaters Tod zu sein.

Kurz nach seinem Tod erhielt ich von Vaters geliebter Frau einige seiner Gegenstände, die ihm lieb waren und die er seit frühester Kindheit aufbewahrt hat. Darunter: ein Bierhumpen, das Elefantenkässeli, Hefte voller Collagen von Sportereignissen und Aufnäher von Orten, die er (vermutlich mit dem Velo) durchquert hat.

Vielleicht werde ich nun diese eine Tradition weiter führen. Einen Stoff-Aufnäher habe ich seit heute: einen vom Julierpass.