Als ich von zuhause wegging

Im Sommer 1993 begann ich mein Au-Pair-Jahr in Nyon. Ich weiss bis heute nicht genau, was mich dazu getrieben hat. Vielleicht war einer der Gründe, dass ich meine gewünschte Lehrstelle als Buchhändlerin nicht bekommen hatte. Stattdessen hatte ich für 1994 eine Zusage für die beste Lehrstelle der Welt in einer kleinen Frauenfelder Confiserie erhalten.

In der Sekundarschule war ich keine Leuchte in Französisch. Es fiel mir aufgrund verschiedenster Umstände schwer und ich fühlte mich ungenügend. Meine Liebe galt Deutsch. Von mir aus hätte es fünf Tage die Woche Deutsch- oder aber Geschichtsunterricht geben können. Ich wäre glücklich gewesen.

Der Entscheid, in die Romandie zu fahren, war ein Versuch, mich meinen Schwächen zu stellen. Unbewusst bin ich wohl auch vor meiner Mutter geflohen. Mitten in der Pubertät wollte ich nur noch weg von zuhause und mein Leben leben. Ich war 16 Jahre alt und fühlte mich bereit für die grosse weite Welt. In Nyon war ich nurmehr „la petite Thurgovienne“. Das gefiel mir nicht schlecht.

Ein Jahr lang lebte ich in einem kleinen Dorf bei Nyon, schaute für zwei Kinder, putzte ein wenig und ging zwei Mal pro Woche in den Französisch-Unterricht. Schon nach kurzer Zeit war mir klar, dass ich das Französisch-Diplom in Annemasse machen wollte. Monate des Übens lagen vor mir. Die Auseinandersetzung mit der Grammatik, der französischen Literatur und des französischen Films begeisterten mich. Meine Erfahrungen in der Sekundarschule waren mit einem Mal vergessen. Ich bemerkte, wie schnell ich lernen konnte und das machte mich stolz und glücklich.

Ich hielt intensiven Briefkontakt mit Omi Paula und meiner Mutter. Zur gleichen Zeit zerbrach die Ehe meiner Eltern. Als ich aus der Romandie zurückkehrte, war meine Mutter ausgezogen und mein Vater zog mit seiner Freundin zusammen. Zum ersten Mal erlebte ich ihn wirklich glücklich.

Ich aber tat mich anfangs schwer, mich wieder einzuleben. Ein Jahr lang hatte ich nur noch Französisch gesprochen, sogar auf Französisch geträumt. Zurück in der thurgauischen Pampa war alles anders. Ich konnte nicht mehr schreiben. Ich hatte mich meiner Familie entfremdet und fühlte mich als Aussenseiterin. Glücklicherweise konnte ich am 2. August 1994 meine Lehre beginnen, so dass sich schnell wieder alles zum Guten wandelte.

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