Vor über 22 Jahren veränderte ich meinen beruflichen Schwerpunkt. Nach einer Lehre im Lebensmittelhandel, ich lernte Confiserie-Verkäuferin und nein, die Spitzenschürzen hab ich nicht mehr, wechselte ich in die Begleitung von Menschen mit einer Beeinträchtigung.
Für mich, als Seebachtalerin, als Mensch, der nie gross zuvor mit Menschen mit Beeinträchtigung zu tun hatte, war das ein grosser Schritt. Zu verdanken hatte ich einen ersten Einblick meiner Freundin Franziska, die vielleicht als erste mein Talent bzw. mein Potenzial in dieser Berufssparte erkannt hatte.
Im Alter von knapp 22 Jahren schnupperte ich in einem Betrieb in Weinfelden. Ich sagte niemandem, ausser meinen engsten Freunden, etwas davon. Ich hatte Angst, dass ich scheitern würde. Doch schon nach den ersten fünf Minuten auf jener einen Wohngruppe, wo ich reinschauen durfte, schlug mein Herz schneller. Ich spürte, ich hatte meine Bestimmung gefunden.
Ich bin mir bis heute unsicher, warum es mich in diese Berufsrichtung gezogen hat. Vor einigen Jahren, als ich 2015 das Haus meiner Omi bezog, wurde mir einiges klarer. Ich stiess auf Bücher meiner Urgrossmutter Anna, sie war die Mutter meines Opas. In ihrem Nachlass fand ich mehrere Bücher über Menschen mit Beeinträchtigung aus dem frühen 20. Jahrhundert.
Ich vermute, dass sie in den 20er Jahren eine Tochter namens Nelly verlor. Ich weiss nicht, ob sie eine Beeinträchtigung hatte oder aber an der Grippe starb.
Jedenfalls verstarb sie vor der Geburt meines Opis. Nur ein kleiner Schnipsel einer Todesanzeige, die ich im Haus fand, erinnert sie. Ich habe weder ein Foto, noch sonst was. Nelly ist und bleibt ein Mysterium in meinem Leben. Ein Name.
Mein Vater hatte zeitlebens Mühe mit Menschen mit Beeinträchtigung. Er unterstützte mich zwar sehr in meinem beruflichen Werdegang mit Rat und Tat. Doch er konnte nicht verstehen, warum ich diesen Weg eingeschlagen hatte. Für ihn war eine körperliche Beeinträchtigung bei einem Kind etwas vom Schlimmsten, was er sich vorstellen konnte.
Mein Vater lebt nun bald ein Jahr nicht mehr. Ich hätte zu gerne mit ihm über die sportlichen Erfolge der Schweizer AthletInnen an den Paralympics gesprochen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er sich darüber NICHT gefreut hätte.