Druckabfall

Ich mag Dinge, die intensiv sind. Der ganze Tag heute. Die vielen Leute. Das Fliegen. Das war intensiv. Die Sicherheitskontrolle war sehr intensiv. Ich hab fast eine Panikattacke gekriegt, weil ich gefilzt wurde. Mehr denn je hasse ich es, wenn fremde Menschen mich einfach so anfassen. Die Frau hat mit ihrem Metalldetektor mehrere Male meinen Rücken abgefahren, wirbelte damit zwischen meinen Brüsten hin und her und fuhr über meinen Bauch. Ich hab zumindest nicht geweint.

Der Flug von Köln nach Friedrichshafen verlief einigermassen. Ich hatte wieder furchtbare Kiefer- und Kehlkopfschmerzen bei der Landung. Wir fuhren mit der Fähre über den See. Die Heimfahrt mit dem Auto von Romanshorn nach Frauenfeld war traumhaft. Einmal mehr wurde mir bewusst, wie sehr ich diese Gegend hier liebe. Die Apfelbäume, die sanften Hügel, die herrlich distanzierten Menschen.

Zuhause dann bemerke ich, dass mich jemand angerufen hat. Eine Nummer aus Toggenburg. Schnell ist klar, es ist das Pflegeheim. Ich atme tief ein. Atme tief aus. Dann rufe ich an.

Die Pflegende informiert mich, dass Paula heute nachmittag gestürzt ist. Sie ist im Spital mit Verdacht auf einen Oberschenkelhalsbruch. Ich atme tief aus. Ich habe keine Angst. Ich wusste ja, dass das irgendwann wieder geschehen wird. Die Pflegende und ich sprechen miteinander. Oma Paula ist in den Hof des Hauses gegangen. Dabei stürzte sie. Nur zwei Schritte weit ist sie gekommen.

Ich bin ganz ruhig. Einmal mehr bin ich froh, dass Paula nicht in ihrem Haus gestürzt ist, sondern da, wo sie rasch Hilfe kriegt. Meine Oma jetzt im Spital zu wissen, ist allerdings ein komisches Gefühl. Die Pflegende rät mir, im Spital anzurufen, was ich auch tue.

Ich bin etwas verwundert, als mir die Dame am Telefon sagt, sie habe keine Ahnung, was mit Oma ist. Sie könne mich jetzt nicht verbinden, weil die Zentrale nicht besetzt sei. Was auch immer.
Ich soll doch morgen wieder anrufen.

Da hats mir den Geduldsfaden verjagt. Ich sagte, nicht unfreundlich, aber mit spürbar schneidender Stimme:
„Meine Oma wurde notfallmässig eingeliefert und ich finde es unverschämt, dass Sie mir als Angehörige nicht helfen wollen, meine Auskunft zu kriegen. Ich mache mir Sorgen und ich habe keine Lust, erst morgen zu erfahren, was mit ihr los ist.“

Meine Worte verfehlten ihre Wirkung nicht.
Schon einige Sekunden später wurde ich mit der chirurgischen Abteilung verbunden.

Ich fahre heute nicht vorbei.
Morgen wird Paula wahrscheinlich operiert. Ich habe keine Angst, denn ich weiss, meine Paula wird ihren Weg schon gehen. Ich hoffe natürlich sehr, dass sie eine allfällige OP gut übersteht. Aber falls sie es nicht tun sollte, ist es ihr Entscheid zu gehen und ich kann nichts tun, ausser fest an sie zu denken.