Paula redet sich raus.

Paula ist der mit Abstand höflichste Mensch, den ich kenne. Sie ist immer freundlich und sehr charmant. Halt so, wie man sich seine 84jährige Oma vorstellt.

Paula war schon immer so. Charmant. Freundlich.
Das hat sie im Verkauf gelernt. Sie war viele Jahre Kioskfrau. Diesen Beruf hat sie über alles geliebt. Sie liebte es, Zeitschriften genau einzusortieren, Zigaretten einzufüllen und Süssigkeiten in die Auslage zu legen. Ich bin mir sicher, dass ich diese Interessen, die Genauigkeit in kleinsten Dingen, von ihr habe.

Doch wie oft habe ich mich über sie geärgert, wenn eine Verkäuferin nicht nett war mit ihr?
Mehr als einmal hab ich zu ihr gesagt: „Omi! Wehr dich!! Lass dir nicht alles gefallen.“
Doch Paula lächelt sanft.

Leider habe ich ihre charmante Höflichkeit nicht geerbt. Im Gegensatz zu ihr kann ich nicht in jeder Lebenslage lächeln und Leute, die mich ärgern, kriegen meine kalte Schulter zu spüren oder einen Tritt in den Hintern.

Aber Paula, die ist anders. Paula kann lächeln.
Allerdings kriegt diese Eigenschaft, diese praktische Fassade, in ihrer Demenz Risse.
Paula ist noch immer freundlich.
Doch nun nutzt sie die Freundlichkeit zu 100% für sich.
Theaternachmittag im Alterszentrum?
Paula sagt charmant: Danke. Da komm ich doch gern.
Zwei Tage später meint sie, weniger charmant: ich bekomme Besuch.
Ich räume mein Zimmer auf.
Ich muss die Katze meiner Zimmernachbarin füttern.
Und dann, in einem Nebensatz: „Es scheisst mich an. Da geh ich nicht hin.“

Paula lächelt.
Alles ist gut.

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