Als ich vor sechs Jahren zum Frühdienst fuhr, hatte ich keine Ahnung wie dieser Tag enden würde.
Um acht Uhr wurde ich auf meinem Handy von der Pflegenden angerufen, die mir mitteilte, dass sich Uschis Zustand stark verschlechtert hatte. Ein Kollege vertrat mich, so dass ich einfach zu meiner Mutter gehen konnte.
Sie so zu sehen, wie sie da in ihrem Bett umhüllt von schöner, bunter Bettwäsche lag, war ein Schock. Ihr Mund war trapezartig verformt. Ihre Augen weit geöffnet, ins Leere schauend. Ich bin einfach nur zu ihr hingegangen und habe ihre Hand gehalten.
Ich setzte mich auf einen Stuhl und schwieg. Was hätte ich auch sagen können? Ich hatte den Eindruck, als wäre ihr Körper noch hier, aber ihre Seele nur noch an feinen Seidenfäden festgemacht.
36 Stunden blieben uns noch. Aber das wusste ich damals nicht. Wenn mir das jemand gesagt hätte, wäre ich zusammengebrochen. Doch stattdessen sass ich da.
Ihr Atem rasselte stark. Dieses Geräusch, dieses unglaubliche Geräusch, werde ich nie mehr vergessen. Es klang, als würden sich alle Säfte in ihrer Lunge bewegen. Sie atmete schwer.
Ihr Herz schlug noch immer regelmässig. Es war so stark. Mir kam in den Sinn, dass sie doch eigentlich ein zerbrochenes haben musste.
Wie sehr habe ich mir gewünscht, dass sie noch einmal ihre Augen aufgeschlagen hätte. Am Ende ihres Lebens fanden jedoch keine grossen Worte mehr Platz.
Ich redete mit ihr, doch sie reagierte nicht mehr sichtbar. Ich wusste, nein: hoffte, dass ihr Gehör noch da war. Ich strich über ihre Hände, ihre Finger, deren Nägel die jungen albanischen Pflegenden so schön lackiert hatten.
Immer wieder setzte ihr Atem aus. Mehr als einmal meinten die Pflegenden, dass jetzt ihre Stunde gekommen sei. Aber wir täuschten uns alle.
Meiner Mutter Herz schlug einfach weiter. Ich hatte das Gefühl, dass sie noch jeden Moment Leben auskosten wollte.
Der Pflegedienstleiter kam mehrere Male vorbei und saugte Schleim ab. Er versuchte mich zu beruhigen, indem er mir erklärte, dass sie keine Schmerzen hatte. Meine Mutter hatte nämlich, und das hat mich sehr überrascht, eine Patientenverfügung erstellt. In jener stand, dass sie in die Behandlung mit Morphium eingewilligt hatte. Es überraschte mich insofern, als dass ich nie gedacht hätte, dass sich Uschi mit ihrem Tod auseinander gesetzt hatte.
Ich war ihr sehr dankbar, dass ich in jenen Stunden zwischen Leben und Tod nichts mehr entscheiden musste.
Irgendwann wurde es Abend, dann Nacht. Aber meine Mutter lebte noch immer.
Eine Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht kann ich nur jedem empfehlen. Wir hatten gerade den Fall, dass meine Schwester einen schweren Verkehrsunfall hatte und ohne diese Patientenverfügung / Vorsorgevollmacht würden heute 20 Mitarbeiter auf der Straße stehen.
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