Warum leide ich dann so, wenn ich diesen vernebelten Flecken Land verlasse? Der Thurgau ist ein unbekanntes Land und es war mir immer recht so. Die Schönheiten gehören den Menschen, die den Kanton ohne Vorbehalte lieben.
Da ist der See bei Berlingen. Er ist im Frühling und Sommer so klar und azurblau wie die Côte d’Azur. Der Ottenberg sticht grün aus der Ebene hervor. Seine Weine sind wunderbar. Die Thur vor Bischofszell ist wild und wütend, mehr ein grosser Bach, denn ein stiller Fluss.
Konstanz gehörte für mich immer zu Kreuzlingen und noch vor zehn Jahren konnte man einfach mal schnell hinfahren und beim besten Spanier Knoblauch mit Kaninchen essen. Heute geht das nicht mehr.
Der Fasnachtsumzug in Frauenfeld. Das leidige Schlamm-Openair. Die WEGA in Weinfelden. Der Chlausmärt. Die Menschen, die lieber über das Wetter und den Stand der Thur palavern, denn über die Politik. Sie werden mir allesamt sehr fehlen.
Die Sachen in der Wohnung verschwinden immer mehr in Kartons. Die Katze freuts. Für sie ist das alles ein grosses Abenteuer. Doch für mich ist es der Verlust meiner Heimat.
Wir Debrunners entstammen dem Weiler Debrunne. Dort haben sie vor fünfhundert Jahren ihren Namen gefunden. Debrunne bedeutet die Hirschtränke.
Unser Haus hier wurde in den 1860er Jahren gebaut. Es ist also fast dreissig Jahre jünger als „unser“ Haus im Toggenburg. Es ist solide, hat eine Heizung und trotz alledem eine lange Geschichte als altes Schulhaus.
Ich verlasse die Heimat meines Vaters nach fast vierzig Jahren zugunsten der Heimat meiner Mutter. Es ist seltsam, denn im Toggenburg kann ich meinen Wurzeln folgen. Hier im Thurgau nur mit Mühe. Warum ist dann der Abschied so schwer?
Nachtrag 20.25
Ich empfinde es als schwierig, das Grab meines Bruders zurückzulassen. Zu gerne hätte ich ein Glas seiner Erde. Dann würd ich es im Toggenburg beerdigen, wo alle anderen auch liegen.
du hast immerhin noch die thur als lebende verbindung – ihr lauf bringt dich symbolisch zurück!
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Wir leben in einer Welt und einer Zeit, in der jeder laut schreit: „Alles ist möglich.“ Ich sage immer: „Du kannst nie alles haben.“ Für alles, was du kriegst, musst du etwas aufgeben. Für alles, was geht, kommt etwas Neues. Wir sehnen uns ab und an nach Neuem, ab und an möchten wir das Alte festhalten. Und ganz oft werden wir gar nicht gefragt, Dinge kommen und gehen.
Neues macht oft unsicher. Gerade wenn man ein Mensch ist, dem Gewohntes irgendwie Halt gibt. Einer, der sich in seinen Abläufen einrichtet. In den Bildern, die er sieht, wenn er am Morgen die Augen aufmacht, wenn er das Haus verlässt, wieder zurück kommt. Das ist Heimat. Und die kann auch noch weiter zurückgehen. Ideell.
Dein Weg dahin, dass es überhaupt möglich ist, nun von diesem Fleck Heimat wegzugehen, war ein langer. Im Wollen des Neuen hast du vielleicht ab und an aus den Augen verloren, was du dafür aufgeben wirst. Das wird dir nun bewusst. Das ist aber auch schön, denn es zeigt, wie reich dein Leben bislang war. Bewusst oder unbewusst. Das neue Zuhause hat eine Geschichte. Und du wolltest es haben. Und du wirst dir deine ganz persönliche Alltagsgeschichte Tag für Tag aufbauen. Dafür wünsche ich dir alles Liebe!
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