Sie hatte es wieder getan.
Sie wollte wieder einmal nicht mehr leben. Dabei war es noch nicht mal September.
Der Auslöser für ihren Entscheid war schnell gefunden.
Es gab tausend Gründe: sie wollte nicht mehr leben.
Sie hatte Tabletten genommen. Ich weiss nicht mal welche.
Es ging ihr himmeltraurig. Sie weinte. Sie schrie. Sie kotzte.
Ich versteckte mich mit meiner kleinen Schwester unter der Bettdecke.
Hielt ihr die Ohren zu.
Meine Schwester sollte ihre Schreie nicht hören. Aber wir wussten beide, es ging um alles.
Ohne Mutter würden wir hier nicht mehr länger leben können.
Der Arzt kam. Kümmerte sich um unsere Mutter.
Die Tränen. Ihre Stimme. Ihre Verzweiflung.
Ich wusste, irgendwann würde es so nicht mehr weiter gehen. Ich war vielleicht zwölf Jahre alt.
Irgendwann kriegt man ein Gefühl für die Gefühle anderer Menschen. Man spürt genau, wie weit man gehen kann und wo man helfen muss. Als Erwachsener lernt man das in einer Ausbildung. Ich hab das schon als Kind gekonnt.
20 Jahre nach dieser Episode sitze ich an ihrem Sterbebett. Ich bin erstaunt, dass sie es so weit geschafft hat. Dass sie noch immer lebt und an ihrem Leben so festhält, obwohl sie es doch jahrelang riskiert hat. Ich sitze da und weiss ganz sicher, dass sie gehen wird. Diese Klarheit ist seh viel klarer als in meinen Kindertagen, denn ich sehe ich ihre Gesichtsfarbe, messe ihren Puls und achte auf ihre Atmung.
Als meine Mutter stirbt, bin ich traurig. Aber ich bin auch erleichtert, dass diese Angst nach fast 30 Jahren ihr Ende gefunden hat.
Wieder so ein Post, bei dem ich beim besten Willen nicht „Gefällt mir“ drücken mag. Drücke lieber dich – und die beiden Mädchen von damals, die das miterleben mussten …
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Ich drücke auch. Ganz herzlich. Sehr ergreifend!😔
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ich bin froh mussten meine damals 2 buben „nur“ 3 solche jahre durchstehen.wie oft hab ich mich mit ihnen verbarrikadiert, selber aber 1000 tode gestorben unterdessen.
ufff
menschen die sterben wollen sollten das tun dürfen.
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😦
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Mein „Gefällt mir“ heißt, dass ich mitfühlen kann. Meine Mutter war auch depressiv, aber der still-leidende Typ, ohne Suizidversuche.
So viel Leid und so viel Schmerz für Kinder und andere Angehörige.
Mit ihrem Tod wurde es anders, vieles wird klarer und ich verstehe manches anders, besser.
Danke für diesen Text.
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Ich kann Deine Erleichterung verstehen…Herzliches Beileid. Nadia
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