Sicherheit und Liebe

Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Älterwerden ist eine Sache, die mit dem körperlichen Abbau eine andere. Die Werbung gaukelt vor, wie schön es ist, älter zu werden. Man kriegt weisse Haare und dank der richtigen Crème hat man einige wenige Krähenfüsse.

Für mich ist das Älterwerden aktuell keine schwere Sache. Ich war nie dünn und musste mich nie in sogenannten sozialen Wettbewerben mit anderen schlagen, weil ich weder auf Mann noch Nachwuchs scharf war. Ich kann mich also gelassen darauf einlassen, was mich die nächsten Jahre erwartet.

Aber ich kriege hautnah mit, wie schwer sich alles für meinen Vater gestaltet.
Dazu muss ich vielleicht etwas ausholen: Mein Vater ist der sportlichste Mensch, den ich je gekannt habe. Er liebte das Laufen. Er liebte es, mit dem Velo zu fahren. Und weil er wirklich cool ist, fuhr er meistens mit seinem Militärvelo herum und nicht mit irgendwelchen Kack-E-Bikes.

Seit einigen Monaten leidet mein Vater darunter, dass seine Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist. Er, der Bewegungsmensch, muss sich plötzlich vergewissern, dass er sicheren Halt hat, dass er nirgends anstösst, dass er nicht fällt. Mir tut das sehr weh, weil ich weiss, wie sehr ihm das alles bedeutet. Ich möchte alles unternehmen, damit er sich weiter sicher bewegen und fühlen kann.

Es gibt ein Erlebnis, das ich seit meiner frühesten Kindheit weiss: Ich sitze in jenem weissen Kindersitz, welches er auf seinem schwarzen Militärvelo, ich nannte es „Jogi“ festgemacht hatte. Er fährt. Mein Vater hat schwarzes Haar, einen grossen schwarzen Bart und lacht, derweil wir fliegen. Ich sitze da und geniesse den Fahrtwind. Wir fahren gen Sonnenberg und ich feuere ihn an: „Schneller, Papi! Schneller!!!“
Er fährt noch schneller.

Anmerkung: Wir schreiben vielleicht das Jahr 1980. Ich bin vielleicht drei Jahre alt und trage keinen Helm. Aber ich fühle mich sicher, weil ich in der Nähe meines geliebten Vaters bin. Mit ihm habe ich meine ersten sechzehn Jahre erlebt. Er war es, der mich gestärkt hat, sei es in Selbständigkeit, Selbstbestimmung, dem Tierschutz und schlussendlich in der Liebe zur eigenen Familie.