Paula und das soziale Leben

Paula geht’s gut. Sie hat die ersten drei Monate in guter Gesundheit überstanden. Langsam gewöhnt sie sich in den Heimalltag ein. Sie geht morgens um halb neun in den Essraum und kriegt dort ihren Incarom und ihre Gonfi serviert (ohne Kerne, damit sie nicht zwischen den Zähnen stecken bleiben). Nachher marschiert sie zurück in ihr Zimmer und räumt auf. Nicht, dass sie das müsste. Ihr Zimmer ist immer sauber. Aber sie macht es eben gern.
Und um viertel vor zwölf klopft die Pflegende an die Tür, um sie zu erinnern, dass sie Mittagessen kriegt. Paula hat einen festen Platz und diskutiert dort über das Wetter. Oder den Papst. Dass der heute seinen Rücktritt angekündigt hat, sage ich ihr nicht. In ihrer Welt leitet Johannes XXIII seine Schäfchen. Und er macht es gut. Alles andere würde sie wohl verstören.

Am Nachmittag legt sie sich hin. Manchmal geht sie auch schwimmen. Das heisst, die Schwester begleitet sie in die Badewanne. Morgen besucht Paula einen Theaternachmittag für Senioren im Dorf. Das wird sicher lustig, meint die Pflegende. Paula geht natürlich hin. Wenn ich sie morgen abend anrufen werde, wird sie allerdings nicht mehr so genau wissen, was sie gemacht hat.

Als wir heute da waren, erzählte Paula, dass sie vor ein paar Nächten einen Geist zu sehen geglaubt hatte. Ich schreckte schon auf. Bitte nicht schon wieder!!
Aber nein, beruhigt mich Paula. Alles ist in Ordnung. Der Geist war zwar sehr dick und nackt und weiblich, stellte sich aber als desorientierte Mitbewohnerin heraus, die das Klo suchte. Paulas lakonischer Kommentar: „Die ist eben schon sehr alt, bestimmt schon 80. Und drei Jahre jünger als ich.“

Ich atme beruhigt aus.
Paula begleitet uns nach unten. Gleich gibt’s Mittagessen. Wir laufen vorbei an einer betagten Frau, die inständig die Pflegende versucht davon zu überzeugen, dass das Theaterstück im Schulhaus und nicht in der Altersanlage gezeigt wird. Das sei sehr wichtig. Auf Paulas freundliches Grüezi und „das ist meine Enkelin“, reagiert die alte Frau gehässig und ruft Paula nach: „Das hab ich schon gemerkt. Ich bin ja nicht blöd.“ Paula entgegnet im Weggehen: „Die hat einfach immer schlechte Laune. So ein Totsch.“