Was man vermisst

Als Kind verbrachte ich meine Sommerferien immer bei Paula und Opa. Während Paula uns umsorgte, bekochte und unterhielt, wir waren ihre Augensterne, war Opa immer ein schrulliger Eigenbrötler. Den grössten Teil des Tages verbrachte er im Keller, in seiner Werkstatt, gehauen in den Fels, auf dem das Haus gebaut ist.

Ich weiss nicht genau, was er ausser Sinnieren und Holz sägen sonst noch gemacht hat. Er redete nicht viel, und wenn, dann von Politik, seinem Ärger auf entfernte, geldgierige Verwandte und dem Sonnenaufgang auf der Wasserflue.

Opa trug meistens ein königsblaues Übergwändli und rauchte in einer Pfeife einen zerschnittenen Rösslistumpen. Er schaute fürs Leben gerne den Eidechsen zu, wie sie sich an der Sonne wanden und träumten. Wenn ich ums Eck kam, zischte er und winkte, damit ich neben ihn trete und schaue.

So standen wir da, Opa und ich, und beobachteten die Eidechsen. Ihre Farben erscheinen mir heute noch schillernd und lebendig. Grün. Silbern. Walenseeblau.

Oft stand Opa am Nachmittag, wenn die Sonne auf den Bach schien, am Geländer und schaute zu, wie sich die Forellen im Wasser tummelten. Wenn ich eine sah und darauf zeigte, legte er den Finger auf den Mund, damit ich leise war. Nach ein paar Minuten tätschelte er liebevoll meinen Kopf. Ich kann seither an keinem Bach, keinem Fluss mehr vorbei gehen, ohne zu nachzusehen, ob ich eine von ihnen in den Wellen erkenne.

Am letzten Montag ging ich zum Haus, um die Johannisbeeren zu ernten. Ich werde die Bäume schneiden müssen, denn sie geben keine grossen Früchte mehr. Ich stand am Bach und schaute nach unten. Die Sonne schien.

Da erblickte ich sie. Sie schien uralt. Alleine. Aber sie ist noch da: eine grosse, wunderschöne, gesprenkelte Forelle. Minutenlang beobachtete ich sie und es schien mir, als würde mein Grossvater neben mir stehen und mir meinen Kopf tätscheln.

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