Ich bin überzeugt, dass es für jeden Menschen wichtig ist, zu wissen woher er kommt. Unsere Geschichte steckt uns im Blut. Wer aus einem Kriegsgebiet stammt, Hunger erleiden oder Gewalt, welcher Art auch immer, erleiden musste, trägt dies in sich. Wer die Geschichte seiner Familie erforscht hat, bekommt eine Möglichkeit, sich mit den vererbten, unsichtbaren Dingen zu beschäftigen.
In der jüngeren Geschichte ist der zweite Weltkrieg eines der wichtigsten Themen in meiner Familie. Beide Grossväter, Hermann (1909) und Walter (1924) haben Aktivdienst geleistet. Mein Grossvater Hermann war zu Beginn des Krieges bereits 30 Jahre alt. Mein Vater wurde aber erst 1948 geboren. Hermann war ein später Vater. Meine Grossmutter Ida wurde 1913 geboren. Auch sie wurde für damalige Verhältnisse eher spät Mutter.
Was mich an den Erzählungen meines Vaters sehr fasziniert, ist die Gegenwärtigkeit des Krieges. Obwohl 1948 nicht mehr Krieg herrschte, war er für meinen Vater eine deftige Realität. Die Erzählungen über die schweren Jahre hat er aufgesogen und weiter gegeben. Dank ihm weiss ich von den Geschichten über die Damen aus Zürich, die bis tief in den Thurgau reisten, um an Lebensmitteln zu gelangen.
Mein Grossvater Walter wurde erst 1944 eingezogen. Wie schon an anderer Stelle erwähnt, war er, als Spinnereiangestellter in der Industrie, bei schlechter Gesundheit und unterernährt. Die Kriegsjahre haben ihn sehr geprägt. Sein Hass auf Hitler und gegen Deutschland war ihm eingebrannt worden. Mit grossem Stolz erzählte er mir mehr als einmal, wie er und seine Kompanie sich verweigert hätten „Hoch auf dem gelben Wagen“ zu singen, weil es eben ein Lied der Deutschen war.
Meine Grossmutter, Paula, lebte in der Nähe der deutschen Grenze. Die Bombenangriffe auf Friedrichshafen haben sie stark geprägt. Sie war noch keine 16 Jahre alt. Ihre Ängste spiegeln sich auch heute noch wider.
Anna, meine Urgrossmutter, Walters Mutter, litt während den Kriegsjahren an Brustkrebs, Sie starb 1947. Ihr Leiden muss unvorstellbar gewesen sein.
Mein Urgrossvater Heinrich, Annas Mann, rief in seiner Heimatstadt Lichtensteig mit seiner Trompete den Krieg aus, wie man mir mitteilte. Bis heute habe ich keinen photographischen Beweis dieser Sache.
Ich möchte noch weiter forschen, wissen, wer meine Vormütter und meine Vorväter waren. Ich möchte wissen, wo sie gelebt und wie sie das Leben um sich herum wahrgenommen haben.
Es ist seltsam. Ich fühle mich ihnen hier, im Thurgau, besonders nah. Mir scheint, als wären sie noch hier, als lebten sie in den alten Bäumen, den Häusern und den Landschaften weiter.