Der Mittwoch war ein schwieriger Tag für mich. An jenem Tag fand nämlich die periodische Schätzung des Hauses statt. Ich war nervös.
Heute kriegte ich ein Mail von Paulas Beistand. Er schickte mir, wie versprochen, Informationen über Paulas Haus.
War ich bis anhin davon ausgegangen, das Haus sei ca. 1900 gebaut worden, sah ich mich eines besseren belehrt. Das Haus ist sehr viel älter. 1839 wurde es erbaut. Als ich den Auszug aus dem Buch über das Städtchen, und besonders den Eintrag über das Haus fand, stiegen mir die Tränen in die Augen.
175 Jahre alt ist es.
Meine Güte. Was muss dieses Haus alles schon erlebt haben? Kriege. Schicksale. Menschen, die darin glücklich waren, darin starben.
Seltsam, den Namen meiner Vorfahren auf der Eigentümerliste zu sehen. Es wirkt so fremd. Paula hat das Haus 1997 von Walter geerbt, Walter 1984 von Henri. Henri hat es 1958 von der Witwe Breyer gekauft. Da war Henri schon fast 70 Jahre alt. Die Witwe Breyer erbte es 1941, mitten im Zweiten Weltkrieg von ihrem Mann, dem Mechaniker. Der Mechaniker kaufte es 1932 von der St. Galler Feinwebereien AG. Diese hatte es 1919 einem Coiffeur abgekauft, welcher das Haus 1903 erwarb. Von 1859 bis 1903 befand sich in dem Haus eine Lohnwäscherei. (mit einem Mal erstaunt es mich nicht mehr, alte Zuber als Kind entdeckt zu haben. Der Besitzer der Lohnwäscherei war gerade mal 29 Jahre alt, als er dieses Haus gekauft und genutzt hat.
Zwei Jahre zuvor, 1857 nämlich, gehörte es einem Schreiner, der es dem Erbauer oder seinen Erben abgekauft hat.
Nun sitz ich da und mir wird mit einem Mal bewusst, was hier schon alles an Leben geschehen ist. Ich nehme an, nicht jeder war glücklich in diesem Haus. Von meinem Urgrossvater und seiner Frau weiss ich, dass sie zufrieden waren. Paula und Walter waren glücklich, wenn meine Schwester und ich die Ferien bei ihnen verbrachten und dem Haus so neues Leben einhauchten. Wenn ich die Hauskaufsdaten und die Geburtsjahre der Käufer vergleiche, fällt mir auf, dass sie bis in einem Fall, alle als alte Menschen eingezogen sind. Es berührt mich auf seltsame Weise.
Als ich heute Feierabend hatte, wäre ich am liebsten hingefahren, hätte gerne die Mauern berührt und es getröstet. Ich hätte gesagt: Warte auf mich, liebes Haus. Jetzt ist Zeit, dass du jüngeren Menschen ein Dach über dem Kopf gibst, Menschen, die sich drauf freuen, in dir alt zu werden…
Das Haus 2009