Omi Paula und der Kaiser

Omi Paula zu erklären, dass Karlheinz Böhm gestorben ist, ist eine schwierige Sache. Zum einen wird sie es schon am Nachmittag wieder vergessen haben, zum anderen darf ich mir dann anhören, dass er ein schöner Mann war und sie es doof findet, dass er Sissi nicht geheiratet hat.

Es machte mich nachdenklich zu lesen, dass Karlheinz Böhm die letzten Jahre „unter Alzheimer gelitten hat“ und darum zurückgezogen lebte. Ich finde es natürlich sehr spannend, solche Bemerkungen zu lesen. Karlheinz Böhm war ja schliesslich ein berühmter Mann. Niemand will wohl wissen, wie es ihm (und seiner Familie) ergangen ist, als er an Alzheimer erkrankte. Schliesslich wird das Bild des Wohltäters und klugen Mannes immer alles überstrahlen.

Ich überlege mir, wie das bei Paula so verlief. Sie hat keine Alzheimer-Diagnose. Bei ihr war die Demenz wohl ein Teil des schleichenden Alterungsprozesses. All die Jahre sind wir zusammen weggegangen. Wir kauften ein. Wir gingen ins Restaurant. Mit ihrem Charme hat Paula all das Vergessen überspielt.

Natürlich war da jene Szene in einem guten Modegeschäft in der Stadt, wo Paula sehr angeregt mit einer Schaufensterpuppe sprach und einige seltsame Blicke erntete. Aber irgendwie fand das passend. Paula halt.

Etwas mehr Sorgen machte ich mir, als sie mir schluchzend erzählte, dass einfach die Läden geschlossen waren und ihr jemand erklärte, dass das am 1. November halt so sei. Sie hatte vergessen, dass dieser Tag im Kanton St. Gallen ein Feiertag war.

Ich weiss nicht, ob ich heute mit Paula in ein Restaurant fahren würde. Sie isst nur noch kleine Portionen. Sie redet lieber, als dass sie isst und trinkt. Sie wird schnell müde. Ich möchte nicht, dass irgendjemand sie deswegen auslacht.

3 Gedanken zu “Omi Paula und der Kaiser

  1. „Leiden“ wirklich die dementen Personen? Oder ist es die Erkenntnis derer, dass ein Teil der Vergangenheit sich verabschiedet. Nur halt langsam bzw. auf „Raten“. Und zwar für die Begleiter der „Leidenden“.

    Ich hoffe, es ist nicht zu provokant, diese Frage zu stellen.

    Oder ist das Leiden irgendwann vom Vergessen getilgt.

    Ich empfinde den „Abschied auf Raten“ für mich persönlich als schwierig. Ich persönlich habe ein Problem damit. Ich tue mich schwer damit, die immer gleichen Geschichten zu hören. Ich beobachte meine Mutter einen „Ticken“ zu genau, jetzt im Moment, wo sie im KH liegt. Ich tue mich schwer damit, dass sie nur noch undifferenziert hört, was ihr gerade gut tut.

    Betrachte deswegen ich es als Leiden, wenn sie die „Wahrheit“ der Erkrankung nicht im vollem Umfang versteht. Es ist „nur“ eine Bauchspeicheldrüsenentzündung und keine Demenz. Aber selektives Hören hilft ihr anscheinend. Es ist ein Segen, dass sie nicht alles direkt versteht. So erspart sie sich einen Teil Sorge. Und sie darf diesen Teil der Sorge an mich abgeben.
    Ich wünsche ihr das Vergessen nicht. Aber ich wünsche ihr Ruhe.

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  2. ich weiss nicht, ich finde Abschied so oder so schlimm. Aber ich denke, ich würde sehr viel mehr leiden, wenn meine Oma von einem auf den anderen Tag nicht mehr da wäre. Der Abschied auf Raten ist schmerzhaft, aber er zwingt mich auch, auf mich zu schauen. Das ist keine schlechte Sache.

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  3. Seit dem 17.07. weiß ich nun, dass es eine gute Sache war, meine Mutter zu begleiten. Bei allem was in den letzten 4,5 Jahren so anstand (nachdem mein Vater so schnell verstorben ist).

    Das es eine lange, aber gehaltvolle Zeit, des Abschiedsnehmens war. Vielleicht macht es mir heute einfacher, mit dem Tod meiner Mutter umzugehen! Denn ich habe gelernt ihren Willen (auch für den Sterbevorgang) zu respektieren und sie dabei zu begleiten.

    Ich denke, dass es gut ist, sich im Leben zu kümmern und Anteil zu nehmen. Und auch Anteil am eigenen Leben anzubieten. Wie genau das ein Jeder tut bzw. tun kann, bleibt jedem überlassen.

    Und Du hast recht, bei der Begleitung und auf dem Weg zum Tod lernt man sich selber wieder neu kennen.

    Deine Texte haben mir übrigens ganz oft Geduld gegeben, meine Mutter besser zu verstehen. Danke.

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