Was kommt?

Es gibt etwas, was mich sehr beschäftigt.
1997 wurde ich 20 Jahre alt, in dem Jahr starb Opa. 2007, drei Monate nach meinem dreissigsten Geburtstag, starb Mami. Dieses Jahr werde ich 40 und ich setze mich damit auseinander, dass Omi geht.

Omi ist 88. Sie lebt, anders als es ihre Lebensgeschichte hätte vermuten lassen, noch immer. Als sie ein kleines Mädchen war, erkrankte sie an einer Hirnhautentzündung. Daran wäre sie fast gestorben.

Trotzdem habe ich Angst vor dem Tag, wo Omi nicht mehr ist.
Unsere Verbindung ist sehr tief. Sie ist nicht zu vergleichen mit der Beziehung zwischen Mutter und Tochter. Es ist etwas anderes. Es ist Verstehen ohne Worte. Liebe ohne Bedingungen.

Es gibt Tage, da hadere ich so sehr mit ihrer Demenz. Unsere Gespräche, unser gemeinsames Lachen, die Geschichten, die sie so wunderbar erzählen konnte, fehlen mir. Sie ist meine Verbindung zu all den Leuten, die ich nicht gekannt habe. Das ist mein grösster Verlust und das verzeihe ich der Demenz nie.

Dann wieder gibt es Tage, Silvester 2016 war so ein Tag, da bin ich einfach nur verwundert.
Omi hat Fieber, wälzt sich, ist nicht ansprechbar, reagiert dann aber so klar auf Worte und Musik. Es scheint, als wäre sie für einen Moment aus der Tiefe der Demenz aufgetaucht, um mit mir zu reden. Mich zu trösten. Mir zu sagen, dass ich keine Angst zu haben brauche, denn Omi hat auch keine Angst.

Es gibt Menschen, die mir sagen, ich darf Omi loslassen. Oder ich höre „das Leben ist halt so“.
Ich bin dann immer etwas hilflos, denn das weiss ich alles selber.
Ich bin traurig, und ich schaffe es nicht, in dieser Situation Fröhlichkeit und Hoffnung zu vermitteln. Ich schaffe es auch nicht, meine Tränen herunterzuschlucken, denn mir scheint, als wären die Tränen die einzige Möglichkeit, meinen Verlust, den ich erlebe, auszudrücken.

2 Gedanken zu “Was kommt?

  1. In Liebe loslassen heisst nicht, dass da keine Tränen fliessen dürfen … Und die Wut auf die Demenz kann ich auch sehr gut verstehen! Und doch bin ich sicher, du wirst es spüren, wenn Oma Paula den letzten Liebesdienst einfordert: sie gehen zu lassen. Weil es, trotz aller Schwere auch ein Vertrauensbeweis sein wird: dass du, mit allem, was sie dir gegeben hat, allein zurechtkommen wirst …

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  2. ja, das teile ich mit Dir … dass wir nicht mehr erzählen können von früher, so wie früher … dass die Geschichten weg sind. Ich bin so froh, dass ich von meiner Oma noch so viele Geschichten erinnere … mit meiner Schwiegermutter ist jetzt total anders :(((( LG

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