Das Ring-Ding

Als ich am Dienstag bei Paula war, fiel mir einmal mehr ihr goldener, irgendwie zeitloser Ehering auf. Sie trägt das gleiche Ding wie einst meine Mutter, obwohl Paula 1951, im dritten Monat schwanger und definitiv nicht mehr jungfräulich, und meine Mutter, Blumenkind, 1974 geheiratet haben.

Ich kann mich sehr wohl daran erinnern, dass Oma und meine Mutter ihre Eheringe immer getragen haben. Aber mein Vater und mein Opa trugen sie nicht. Nein. Mein Vater arbeitete in einem Beruf, wo der Ring hätte zerstört werden oder noch schlimmer, er einen Finger hätte verlieren können. Auch mein Opa war nicht der typische Ehering-Mann. Ich denke, dass in den 50ern ein Ring nur gestört hätte. Es wundert mich ohnehin, dass er, der Musiker, überhaupt geheiratet hat.

Seltsamerweise rühren mich Ehering tragende Männer, vielleicht, weil sie in meinem eigenen Leben nicht vorkommen. Es ist mir ein Graus, mir vorzustellen, dass ich einen Ehering am Finger kleben habe und mein Mann ebenso.

Früher ging man in der Kirche den Bund fürs Leben ein. Meine Urgrosseltern, meine Grosseltern und meine Eltern tatens. Ich weiss nicht, wie glücklich sie dabei waren. Eine Ehe ist doch viel mehr eine Schicksalsgemeinschaft, denn eine Liebessache. Leidenschaft verpufft. Sex noch schneller.

Als ich heiraten wollte, da hab ich über eine flammenförmige Tätowierung am Handgelenk nachgedacht. Aber irgendwie fand ich das dann doch zu prosaisch und habs gelassen. Auch das Heiraten. Die Vorstellung, einst als unverheiratetes Fräulein Debrunner unter einem Grabstein zu liegen, ist reizvoll. Mal sehen.

Heiraten und so.

An der Hochzeit meiner Eltern wäre ich gerne dabei gewesen. Ich kenne diese Feier natürlich nur von den Fotos aus dem Album meiner Oma. Ich vermute, das war ein richtig gutes Fest.

Ich sehe meine Mutter als junge, schöne Braut. Irgendwie hab ich in jüngeren Jahren gehofft, sie würde mir ihr Kleid einmal vermachen. Ich hoffte, mein Mann würde einmal genau so gut und so verliebt aussehen wie mein Vater.

Es ist nicht dazu gekommen. Mit anfangs zwanzig träumte ich, ich würde heiraten. Ich stand da in einem weissen Kleid. Ich hatte sogar einen Bräutigam, dessen Gesicht ich aber nicht erkennen konnte.

Ich stand da ganz vorne in jener Kirche in meinem Dorf, als sich meine Verwandten anfingen zu streiten. Plötzlich waren sie fort. Auch der Pfarrer war mit einem Mal verschwunden. Der Bräutigam schien in Luft aufgelöst.

Ich stand da vorne in einem weissen Kleid. Ganz alleine. Ich zog es aus und lief davon. In der Nähe befand sich damals ein Teich. Ich sprang hinein und verwandelte mich in einen Fisch.

Ich wäre sehr gerne dabei gewesen an der Hochzeitsfeier meiner Eltern. Damals waren sie noch glücklich. Sie ahnten nicht, was auf sie zukommen würde, drei Jahre vor meiner Geburt.

Sie wussten nicht, dass sie mich und meine Schwester aufziehen und meinen Bruder verlieren würden. Wie viel hält die Liebe aus?

Nicht wenig, würde ich sagen. Aber Todesfälle zerstören jegliche Liebe. Ich kenne nur wenige Menschen, die den Tod eines Kindes unbeschadet und in Liebe überleben. Meine Eltern gehörten nicht dazu. Ich trage es ihnen nicht nach.

 

 

uschi (3) (800x636)

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meine Mutter und meine Oma 1974