Wenn ich in meinem Bekanntenkreis erwähne, dass meine Oma demenzkrank ist, herrscht zuerst einmal tiefes Schweigen. Dann folgen Sätze wie: „Es ist halt schon schwierig.“ oder „Man weiss halt nicht, wie man alt wird.“
Was es wirklich bedeutet, wenn man Angehöriger eines Demenzkranken ist, wissen nur die Betroffenen.
Man arrangiert sich mit der Schusseligkeit und der Vergesslichkeit seines Angehörigen. So hört man sich hundert verschiedene Rechtfertigungen an, warum die Fernbedienung im Kühlschrank, das Portemonnaie im Müll und das Katzenfutter in der Pfanne gelandet ist. Man macht sich selber was vor.
Ich hab schon als Kind bemerkt, wie pedantisch und wie korrekt meine Oma ist. Es ist mir nicht aufgefallen, dass sie im Alter noch korrekter wurde. Nicht bemerkt habe ich, dass sie keinerlei Sinn mehr darin erkannte. Ich hatte mich daran gewöhnt.
Ich behaupte mal einfach so, dass das Vergessen das Schlimmste ist. Wenn ich als Enkelin nicht mehr als solche erkannt werde, sondern vielleicht mit der längst toten Tante Hadj verwechselt werde, dann tut sich auch was in meiner Identität.
So kann ich mir nie sicher sein, ob meine Oma Paula mich als Enkelin, Tochter, Schwester oder gar Mutter ansieht. Ich bin dankbar, dass ich von Paula so viele Familiengeschichten kenne. So finde ich mich zurecht. Aber der Schmerz bleibt.
Als sie mich das erste Mal nicht mehr als Enkelin Zora erkannte, habe ich auf dem Heimweg geweint. Es tat so furchtbar weh. Denn schliesslich ist meine Oma diejenige, die ich mich seit Geburt immer nahe und liebend begleitet hat.