Früher konnte ich einfach Paula anrufen, wenn ich unglücklich war.
Sie nahm ab, sagte ihren Nachnamen und sobald sie meine Stimme hörte sagte sie:
„Zora!“
Dann sprachen wir darüber, was wir beide den ganzen Tag so gemacht hatten.
Wir konnten stundenlang reden.
Manchmal erzählte sie mir Geschichten. Manchmal erzählte ich ihr Geschichten.
Das ist alles vorüber.
Wir können nicht mehr ohne fremde Hilfe telefonieren, da sie ihren neuen Apparat nicht mehr bedienen kann. Wenn sie früher bestimmte Worte nicht mehr wusste, sagte sie „Dings“. Heute singt sie stattdessen „lalala“.
Ich ertrage es nur schwer.
Ich vermisse ihre Ratschläge, ihre Liebe und ihre Segnung.
Jedesmal, wenn wir telefoniert hatten, meinte sie, sie würde beten.
Das war bei ihr so eine ganz normale Sache, so wie wenn ich heute sage: „ich geh das mal googlen“.
Ich verliere meine Vergangenheit.
Das Haus ist ohne sie so schrecklich leer.
Es riecht noch nach ihr.
Nach ihrer Stimme.
Trotzdem fühle ich mich alleine.
Ich verstehe dich so gut. Für mich ist mein Vater die Person, die ich anrufe, wenn es mir schlecht geht. Um Weihnachten kam die Krise. Er kam notfallmässig ins Spital, künstliches Komma, wachte auf, aber sehr sehr schwach. Ich wollte und konnte ihm nichts mehr zumuten, zu gross war die Angst, ihn nun wirklich noch ganz zu verlieren – es sah lange danach aus. Ich habe eine Gnadenfrist erhalten. Er ist wieder wohlauf und es geht ihm gut. Ich weiss, es wird nicht ewig dauern. Ich weiss, das Alter schlägt irgendwann zu und ich habe bereits einen Vorgeschmack erhalten. Ich habe Angst davor, unglaubliche. Ich fühle mit dir.
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Liebes, deine Vergangenheit verlierst du nicht: Diese Gespräche sind da, in deiner Erinnerung, in deinen Zellen, in deinen Geschichten und Träumen. Was du – leider verlierst – ist die Kontinuität: Was damals so selbstverständlich war, wurde erst schwieriger, dann unmöglich. Aber es macht die Vergangenheit nicht ungeschehen, und die war reich. Ich weiss nicht, was schwerer ist: Diesen Reichtum erlebt zu haben und ihn versiegen zu sehen – oder, wie in meinem Fall, zu wissen, dass es solche Gespräche nie gab – und jetzt auch nie mehr wird geben können …
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