Meine Mutter, Paula und ich

Natürlich wäre es mir lieber, sie würde noch leben, meine Mutter. Die Frau, die mich geboren hat, lebt aber leider seit bald sechs Jahren nicht mehr.

Ganz bestimmt würde sie Bemerkungen über meinen Freund fallen lassen. Aber keine Angst: meine Mutter wäre die allerbeste und allerliebste aller Schwiegermütter geworden. Niemals hat sie einen meiner Freunde runter gemacht. Im Gegenteil. Sie fand jeden toll, weil er eben meiner war.

Meinen Beruf fand sie immer sehr speziell. Wir haben nie gross darüber geredet. Ich aber konnte ihr stundenlang zuhören, wenn sie über ihre Kunden im Denner gesprochen hat. Sie hat ihre Arbeit als Verkäuferin so sehr geliebt.

Einige Jahre vor ihrem Tod half ich ihr bei ihrer Bewerbung als Rottenköchin. Meine Mutter war die beste Köchin ever. Ihr Voressen war legendär. Leider hat sie den Job nicht gekriegt.

Das bringt mich dazu, darüber nachzudenken, was ich immer werden wollte. Schon als Kind wollte ich Schriftstellerin werden. Einige tolle Lehrer versuchten mir die Sprache abzugewöhnen. Meine Mutter war diesbezüglich immer sehr fordernd. Sie gab sich mit keiner halbwegs perfekten Note zufrieden. Deutsch fand sie wichtig. Also strengte ich mich an.

Zu gerne würde ich wissen, was sie über meine Hauspläne denkt. Würde sie mich unterstützen? Würde sie mich tatkräftig unterstützen?

Wahrscheinlich würde sie das nicht tun.
Sie hat mich auch all die Jahre vor ihrem Tod bei der Betreuung von Paula nicht unterstützt. Ein Beispiel? Meine Oma hatte immer so einen seltsamen Aschenbecher der Swissair. Den habe ich als Kind so sehr geliebt. Ich fand es wunderbar, das silberne Flugzeug aus seiner Verankerung zu holen und mit dem Ding zu spielen. Meine Mutter hat es Oma abgeschwatzt mit dem Vorwand, es behalten zu wollen. Stattdessen hat sie es verkauft. Das fand ich wirklich schlimm.

Nie übernahm meine Mutter einen der Einkaufsdienste. Nie ging sie mit Paula zum Arzt. Stattdessen habe ich das getan, obwohl ich 100% berufstätig war.

Ich mag meiner Mutter keine Vorwürfe machen. Sie ist tot. Aber manchmal denke ich, dass es furchtbar ungerecht ist. Sie sollte jetzt an meiner Stelle stehen. Sie sollte sich um Paula sorgen. Ich würde sie dabei unterstützen. Bestimmt.

2 Gedanken zu “Meine Mutter, Paula und ich

  1. Euer Generationengefüge scheint schon vor dem viel zu frühen Tod deiner Mutter teilweise verschoben gewesen zu sein, oder? Du hast (wohl nicht nur bei Paula) neben deiner Rolle eigenen Rolle (aka Enkelin) auch teilweise die Rolle deiner Mutter übernommen, weil diese ihren Platz nicht oder nur partiell einnahm. Muss manchmal schwierig gewesen sein … und hat sicher Narben hinterlassen.

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  2. Jedesmal wenn ich einen Deiner Texte hier lese überkommt mich das Bedürfnis, Dich zu bemuttern. Ich hoffe, Du hast jemanden, der das ab und zu für Dich tut!

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