Sehnsucht

An Tagen wie diesen denke ich sehr oft an meine Mutter. Erdbeeren.
Sie hat sie jeweils für mich gepflückt und mir zu essen gegeben, weil sie wusste, dass ich sie so gerne habe.

Es ist bestimmt bald 25 Jahre her, es war ein Mittwoch, so wie heute, im Juni. Omi Paula besuchte uns. Wir redeten, tranken Kaffee. Ich war knapp zwölf Jahre alt.

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Wir sassen auf dem Balkon. Die Katzen strichen um unsere Beine. Negi und Mauzi. Meine Mutter tadelte mich, wenn ich Mauzi aufhob und sie an den Tisch nahm.

„Sie stinkt“, sagte sie.
Ich wusste genau, dass Mami und Mauzi das Heu nicht auf der gleichen Bühne hatten. Mauzi war mir meine liebste Freundin in jener Zeit.

Mami tischt Dessert auf. Sie war eine wunderbare Köchin.
Wir sitzen da und ich geniesse jenen Moment der Ruhe, denn ich weiss genau, dass, sobald Omi weg ist, meine Mutter ihr wahres Gesicht zeigt.

Meine Mutter konnte sich nur schlecht beherrschen. Der Alkohol machte sie zu einem komplett unberechenbaren Menschen. Die Katze und ich bekamen das oft genug zu spüren. Manchmal, wenn mir alles von den Schlägen wehtat und ich weinend im Bett lag, kam Mauzi in mein Bett. Sie stupste mich mit ihrer rosafarbenen Nase an und leckte meine Tränen weg. Dann stellte ich mir vor, dass Mauzi eine verzauberte Fee und ich in Wirklichkeit ihre verzauberte Tochter war.

Es ist eine seltsame Sache, doch bis auf Omi Paula und ich sind alle tot: Mauzi, Negi, und meine Mutter. Und Paula erinnert sich nicht mehr. Nur ich weiss noch.

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