Die Stobete

Heute habe ich endlich das gemacht, was ich mir seit langem gewünscht habe: nach Feierabend einfach so Paula besuchen.

Nach dem ganzen Zügelstress und der Grippe fand ich heute endlich Zeit, bei ihr vorbei zu schauen. Wir kamen in einem guten Moment.

Paula sass breit grinsend vor einem Milchkaffee und hörte drei Männern beim Musizieren zu. Die gemütliche Ländlermusik schien Paula und die anderen Bewohner im Esssaal sehr zu erfreuen. Die einen sassen interessiert da, einige andere schliefen friedlich. Paula jedoch lächelte und klopfte den Takt zur Musik mit.

Omi erschrickt, als ich sie begrüsse und ihren Rücken berühre. Ich vergesse für einen Moment, dass ich in ihrer Welt nicht mehr einfach so existiere. Wir küssen uns kurz. Die Begrüssungen sind nicht mehr wie früher.

Ich setze mich hin und wir reden kurz, doch Omi ruft nach der Pflegenden. Sie sagt: „là-haut!“ und zeigt mit dem gichtigen Zeigefinger nach oben. Die junge Frau nickt wissend und hilft ihr aufzustehen. Sie begleitet sie auf die Toilette im oberen Stock. Ich bin erstaunt, weil Omi nie Französisch gelernt hat.
Nach zehn Minuten kehrt Omi winkend und grinsend zurück und wirkt so, als käme sie gerade von einer Weltreise. Sie freut sich, als sie mich sieht, begrüsst mich, Sascha und auch die etwas verkniffen aussehende Tischnachbarin erneut.

Die Tischnachbarin findet die Begrüssung nicht so nett und knurrt Omi zu: „Ich bi dänn im Fall scho vorher do gsi!“*
Omi lächelt ihr freundlichstes Omi-Lächeln und meint:
„Da han ich dänk scho gwüsst. Han nu well bsunders fründlech mit dir si!“**

Die Musik spielt weiter auf. Mit einem Mal kann ich mir genau vorstellen, wie Omi Paula als junges Mädchen war. Das Klatschen fällt Omi heute schwer. Ihre gichtigen Hände sind lautlos geworden.

Ich habe Omi einen Strauss gelber Tulpen mitgebracht. Lieber hätte ich ihr rote Nelken geschenkt, denn das sind ihre Lieblingsblumen. Omi schaut zuerst auf die die Blumen, dann blickt sie mich mit ihren grauen Augen an und sagt: „Schad, dass da Mamme nöd gseh chan.“***

* „Ich war im Fall vorher schon da!“
** „Das weiss ich doch. Ich wollte nur besonders freundlich zu dir sein!“
*** „Schade, dass meine Mutter das nicht sehen kann.“

Ein Gedanke zu “Die Stobete

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