Ich tue mich schwer mit vorgeschriebenen Feiertagen wie beispielsweise dem Muttertag. In der Schule wurden wir jeweils genötigt, Herzen und Blumen für unsere Mütter zu basteln. Ich fühlte mich unwohl.
Natürlich habe ich wie alle anderen Kindern meines Alters gerne gebastelt. Für die Mutter. Alles nur für die Mutter. Doch im Gegensatz zu anderen Kindern wusste ich, dass eine Mutter nicht nur ein liebendes Wesen sein kann.
Meine Mutter konnte, wenn sie getrunken hatte, sehr launisch und wütend werden. Ich entwickelte früh ein Gespür dafür, was ich dann noch sagen und tun durfte.
Der Muttertag ist für mich ein unehrlicher Tag. Ich denke heute oft daran, wie unglücklich meine Mutter war. Natürlich gab es Tage, wo sie gerne Mutter war. Aber da waren auch Tage, da hätte sie mich am liebsten an eine Wand geknallt. Und das nicht nur sprichwörtlich.
Wenn ein Muttertag dafür da ist, den Frauen zu danken, dass sie fruchtbar sind und Kinder gebären, dann ist es ein Schlag ins Gesicht jener Frauen, die keine Kinder haben können oder aber sie verloren haben. Für meine Mutter war dieser Tag, an dem alle anderen Mütter sich über ihre Kinder freuten, ambivalent. Sie hatte eines verloren und sie gab sich die Schuld daran. Wie also sollte sie sich freuen?
Seit meine Mutter nicht mehr lebt, finde ich den Muttertag noch verlogener. Ich freue mich nicht, wenn ich in Ladengeschäften eine Rose kriege, nur weil meine Brüste und meine Hüften so aussehen, als hätte ich (mehrere) Kinder geboren. Ich bin neidisch auf andere Töchter, die ihre Mütter noch um sich wissen und sie jederzeit um Rat bitten können. Ich mache einen weiten Bogen um Blumengeschäfte und Confiserien. Ich ertrage diesen Traum aus Herzen und roter Farbe nur schlecht.
Aber ich mag mich nicht in schlechten Gefühlen suhlen. Ich habe vor einigen Jahren begonnen, den Muttertag für mich umzudeuten. Ich denke dann an Freunde, die mir gut gesonnen sind. Ich denke an meine Omi, die mir immer wie eine Mutter war. Ich denke an meinen Vater, der einer der mütterlichsten Menschen überhaupt ist und ich denke an meine Stiefmutter, die mich zwar nicht geboren, aber dennoch stark geprägt hat.
Freundschaft und Menschlichkeit ist es, was dich stärkt, nicht die Tatsache, dass einige Lebewesen Eierstöcke besitzen.
Danke, liebe Zora, das Du – wieder einmal – die allgemein überlieferten Scheinwahrheiten um einiges Menschliche geradegrückt hast. Eine Mutter habe ich ja nicht mehr, sie ist 1984 an Brustkrebs gestorben, aber was ich immer erleben und empfinden durfte: Die Familie, die mensch sich selber aussucht und zusammenbastelt, die ist am ehrlichsten und am dauerhaftesten. Liebe Grüße.
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