Was mich an Omis fortschreitender Demenz so wütend macht, ist, dass ihre Krankheit uns voneinander trennt. Es ist eine verdammte, himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Während ich das Buch beende, und immer wieder lese, was ich die letzten zweieinhalb Jahre geschrieben habe, fühle ich mich unendlich traurig. Ich schrieb über Dinge, ohne zu ahnen, was uns erwartet. So gerne würde ich Omi erzählen und zeigen, woran ich arbeite. Aber sie versteht mich nicht mehr. Sie nickt, sieht mich an und lächelt. Doch ich spüre, dass ich ihr fremd werde.
Wenn man sich in einer Beziehung trennt, dann hat man vielleicht Streit gehabt. Einer hat einen Fehler gemacht, den anderen vielleicht belogen oder betrogen. Man wird sich gegenseitig müde. Man liebt sich nicht mehr.
Aber bei Omi und mir war und ist das doch anders. Wir hatten uns immer gern. Wir haben selten gestritten. Haben so viel gesprochen. Und dennoch: diese Trennung! Wir sitzen in unterschiedlichen Zeitmaschinen, die uns von einander entfernen. Ich bin so wütend.
Ich arbeite viel im Garten und denke nach. Ich mache dieselben Arbeiten wie Omi die letzten 30 Jahre. Ich hege und pflege die Johannisbeerplantage. Pflege die Rosen. Pflanze Blumen. Kräuter.
Dann ist da noch die Linde. Sie spendet mir Trost. Ich habe sie als Kind nie wahrgenommen. Aber das kann ja nicht sein, dass sie vor zwanzig, dreissig Jahren nicht hier war. Ich finde sie auf keinem Photo.
Ihr Rauschen beruhigt mich. In ihren Ästen verstecken sich Vögel. Ich berühre ihren Stamm und denke ganz fest an mein Omi.
Mitte der 60er Jahre
30. Mai 2015
ca 1983
Liebe Zora, auch wenn es – vielleicht – hart und abrupt klingen mag: Du musst Dein Kind, das neue Buch über die Demenz, jetzt loslassen und in die Welt schicken. Wir warten doch drauf. Dir bleibt ja vorerst Deine Oma Paula – mag sie Dich nun erkennen oder nicht. Du weisst ja, was sie Dir bedeutet.
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Dieses Gefühl kenne ich. Ich gehe Wege, die ich mit meiner verstorbenen Partnerin gegangen bin und denke, hier sind unsere Fussabdrücke. Eine neue Möglichkeit wird es nie mehr geben. Es bleiben die Erinnerungen und neue Fussabdrücke mit neuen Menschen machen, mit denen wir uns durch die Zeit bewegen. Barbara
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