Café-Liebe

Omi und ich liebten es, uns in Cafés zu treffen.
Ganz egal, ob in Wattwil, Wil, Frauenfeld oder Lichtensteig: ohne einen feinen Kaffee endeten unsere Treffen nie.

Jetzt, wo Omi nicht mehr da ist, spüre ich jedes Mal einen Stich, wenn ich an einem „unserer“ Cafés vorbei gehe. Zwar sind wir fast fünf Jahre nicht mehr miteinander eingekehrt. Trotzdem fühlt es sich seltsam an. Omi fehlt.

Meine erste Lehre machte ich in einer Confiserie als Verkäuferin.
Dieses Geschäft gibt es längst nicht mehr. Auch meine Lehrmeisterin, die nur wenig jünger war als mein Omi, lebt nicht mehr.

Ich glaube, Omi war damals richtig stolz auf mich, dass ich in so einem schönen Geschäft, in weisser Bluse, kurzem schwarzem Rock und gestärktem Schürzchen arbeitete. Ich erinnere mich daran, dass sie mir bei Lehranfang Mamis Service-Schürzchen vorbei brachte.

Meine Liebe zu schönen Dingen, edlem Kitsch und eleganter Damenkleidung habe ich wohl von Omi geerbt. In meinem jetzigen Beruf in der Pflege brauche ich jedoch solche Dinge nicht mehr. Omi hat das nie gestört. Sie fand immer, dass ich mit meiner Arbeit dazu beitrage, dass Menschen ein schöneres Leben haben.

Omi hat dazu beigetragen, dass ich eine schöne Kindheit hatte. Wenn ich in einem Café sitze, denke ich an unsere Erlebnisse zurück. Gerne würde ich noch einmal mit Omi draussen an der Sonne sitzen, eine Schale trinken und über Gott und die Welt diskutieren.

ein freier Tag

Heute ist mein einziger freier Tag in dieser Woche. Über die Feiertage arbeite ich. Ich habs nicht zu Paula geschafft.

Hab ich das Recht, einfach so einen freien Tag für mich zu beanspruchen? Darf ich einen Tag lang mich einfach erholen von der Arbeit und allem, was sonst noch so um mich herum schwirrt?

Darf ich einen Tag lang mal die sein, die ich tief drinnen bin? Die Frau, die gerne mal tagsüber eine Stunde schläft? Eine, die träumt. Eine, die nicht immer stark sein will.

Das schlechte Gewissen sitzt in meinem Nacken. Ich sollte so vieles. Vorbei gehen. Trost spenden. Hände halten. Fragen, ob sie etwas braucht.
Doch stattdessen sitze ich zuhause. Ich nähe. Warte, dass ich mein Auto von der Reparatur abholen kann. Gehe an die Sonne. Höre den Vögeln zu.
Ich erhole mich. Ich lese. Streichle die Katze. Denke übers Kochen nach, über die Menschen, die ich in meinem Leben so arg vermisse.

Auf dem Heimweg gehen wir im Café Nafzger in Wängi vorbei und essen einen Coupe. Ich schaue auf die Kreuzung und den kleinen Bahnhof. Dort ist Paula immer ausgestiegen, wenn sie mich mittwochs vom Kindergarten abholte.

Sie ist die Strasse entlang gelaufen und hat dann den „Stich“ hinauf zum Kindergarten in Angriff genommen. Wenn um elf Uhr Schluss war, trat ich auf die Strasse, denn ich wusste, dass Omi von unten her hinauf laufen würde.

Ich rannte jeweils jubelnd und schreiend auf sie zu.

„Omiomiomiomi!“ rief ich, während ich meine Jacke und mein grünes Heiditäschchen in weitem Bogen von mir schmiss. Ich rannte und sie breitete die Arme aus, um mich aufzufangen. Ich wusste, Omi würde mich immer halten.

Ich sitze im Café. Es sieht fast noch alles gleich aus wie vor dreissig Jahren. Nur ich bin älter geworden. Die grüne Heidi-Kindergartentasche habe ich gegen eine braune Damenhandtasche ausgetauscht. Ich reisse mir nicht mehr einfach so die Kleider vom Leib.

Das Bähnchen hält. Viele Leute steigen aus. Ich sehe eine Frau mittleren Alters und stelle mir vor, dass auch sie eine Oma ist, die zu ihrem Enkelkind geht. Ich lächle. Sie läuft an der Terrasse der Conditorei vorbei und lächelt mir zu. Ich nicke. Alles klar.