Meine Geburt war für meine Mutter eine Geduldsprobe. Geplant hatten meine Eltern mich für den 7.7.1977. Aber irgendwie hat das nicht geklappt. Im heissen Sommer 77 liess ich meine Mutter vier Tage lang warten. Das hat sie mir bis zu ihrem Ende nicht verziehen.
Mein Vater erzählte mir, dass sie wahrscheinlich Angst hatte vor ihrer ersten Geburt. Sie wusste nicht, was auf sie zukommen würde, da sie ein Einzelkind war. Nie hatte sie meine Oma Paula schwanger gesehen.
Für meinen lieben Vater war meine Geburt nicht minder aufregend. Er erzählte mir auch später immer wieder, dass er mich, kaum aus dem Mutterleib gezogen, auf die Arme genommen hatte.
„Du sahst aus! Voller Blut! So klein“, pflegte er zu sagen und ich hörte ihm gerne zu.
„Ich durfte deine Nabelschnur durchtrennen“, sagte er stolz und ich dachte, dass das Vater und Tochter aneinander bindet.
Wie meine Mutter ihr Wochenbett durchlebte, weiss ich leider nicht. Sie hat nie darüber gesprochen. Ich weiss aber, dass mein Vater alle Hände voll damit zu tun hatte, damit Paula, meine Oma, mich nicht heimlich katholisch taufen liess. Dies spielte offenbar in den späten 70er Jahren in der Ostschweiz noch eine riesige Rolle.
Mein Vater arbeitete auf dem Bau. Er war Baggerfahrer, hat mitgeholfen, die N1 zu bauen. Die Geburt seiner Tochter war für ihn ein Grund zum Feiern. Nachdem ich am 11. Juli 1977 um halb drei Uhr morgens auf die Welt gekommen war, ging er trotzdem zur Arbeit. Am Nachmittag lud er seine Arbeitskollegen zu einem Bier ein.
Sein Chef, Herr Z., ein Patron alter Schule, kam zufälligerweise an der Baustelle vorbei. Es entging ihm nicht, dass die Arbeiter nicht mehr an ihrem Platz waren und so marschierte er in den nächsten Spunten. Dort sassen mein Vater und seine Kollegen bei einem Bier und feierten meine Geburt.
Herr Z. wollte wissen, warum sie am helllichten Tage nicht mehr arbeiten, sondern trinken. Nachdem mein Vater erklärt hatte: „Ich bin seit heute morgen früh der Vater einer Tochter!“, lächelte Herr Z. Er bestand darauf, diese Runde zu zahlen.
Einige wenige Jahre später starb Herr Z. unverhofft. Die Trauer meines Vater war riesig. Es schien mir, als hätten wir alle einen Vater verloren. Mein Vater kündigte seine Stelle und wir zogen weiter.