Als meine Mutter im Pflegeheim lag und auf ihren Tod wartete, wollte sie immer wieder zurück in ihre Wohnung. Diese jedoch musste ich räumen.
Das Sozialamt meinte, sie zahlten nicht für zwei Wohnungen, Sterbeprozess hin oder her. Ich solle mich beeilen. Nun denn. Ich hätte mich zurücklehnen können. Dann hätte die Stadt Frauenfeld die Wohnung selber geräumt und alle Habseligkeiten meiner Mutter wären in die Mulde gewandert. Da ich wusste, wie sehr meine Mutter an ihrem Nippes hing, war es an mir, ihre kleine Wohnung zu leeren.
Sie litt sehr darunter, dass sie nun keine richtige Bleibe mehr hatte. Ich musste ihr versprechen, dass ich ihr Hab und Gut für sie aufbewahre.
„Irgendwann komme ich vorbei und hole alles wieder ab“, pflegte sie müde zu sagen. Ich nickte.
Unter all den Zwergen, putzigen Kätzchen und Pimmelfigürchen befand sich auch ein gelbes Schild. All die Jahre hatte es über ihrer Haustüre gehangen. Wenn ich sie jeweils besucht habe in ihrer verrauchten Wohnung, sind wir da gestanden und sie zeigte drauf und lachte. Ich fand es peinlich.
Während der Räumung fiel mein Blick auf ihr Schild. Ich habe es abgenommen und ihr ins Pflegeheim gebracht. Sie hat fast geweint vor Freude. Natürlich musste ich es direkt über ihrem Bett aufhängen.
Ihr Lebenspartner fand das gar nicht lustig. Er versuchte mich dazu zu bewegen, dass ich es wieder mit nach Hause nahm – oder noch besser: wegwarf. Aber das tat ich nicht. Ich sagte zu ihm mit vehementer Stimme:
Das Schild bleibt!
Nach dem Tod meiner Mutter, noch am selben Abend habe ich ihre Tasche gepackt. Den roten Minirock, den sie unbedingt ins Pflegeheim mitnehmen wollte, ihre Zigaretten, das schreckliche jodelnde Murmeltier und ihr Schild.
Als ich zuhause ankam und nach einigen Wochen ihre Tasche endlich aufräumte, fiel mir das Schild wieder in die Hand. Mir stiegen die Tränen in die Augen. Dann nahm ich es und hängte über meine eigene Haustür. Und da hängt es jetzt, seit bald sieben Jahren.