Seit Oktober 2007 fuhr ich jeweils zu Paula, um mit ihr den Tod meiner Mutter Ursula zu betrauern. Zuerst wöchentlich. Dann einmal im Monat. Im ersten Jahr lagen wir uns in den Armen um jene Zeit, in der meine Mutter und ihre Tochter den letzten Atemzug getan hatte. Wir tranken in der Toggenburger Küche Kaffee gesalzen mit unseren Tränen, schauten Röteli zu und genossen die letzten warmen Sonnenstrahlen. Wir erzählten uns ihre letzten Momente und es schien mir, als wäre ich mit einem Mal nicht mehr einsam, weil Paula das selbe wie ich gesehen und erlebt hatte.
Es tat gut, Omi Paula zu umarmen. Ich fühlte mich geborgen, denn schliesslich war sie die Mutter meiner Mutter. Ein unsichtbares Band verbindet uns. Jede Geschichte meines Lebens wusste sie mir zu erzählen.
Doch dann schwand ihre Erinnerung an mich. Sie verwechselte mich immer öfters mit Ursle. Am Anfang wusste sie meinen richtigen Namen noch. Mit der Zeit verschwand er und ich gewöhnte mich, wie meine Mutter genannt zu werden.
Seit etwa 2010 suchte ich Omi Paula am 17. Oktober nicht mehr auf. Ich zog mich zurück. Warum sollte ich sie mit etwas behelligen, das nur noch meins ist und nicht mehr ihres? Warum sollte ich ihr immer wieder von neuem weh tun, indem ich eine Erinnerung erweckte, die doch im Begriff war zu verschwinden?
Seit Paula im Pflegeheim ist, arbeite ich an diesem Tag. Doch ich bin nicht glücklich damit. Es erscheint mir einfach nicht ehrlich.
Meine Mutter hat gerne gefeiert. Ich möchte es ihr so gerne gleich tun. Es ist Oktober. Es gibt keinen Grund mehr, Trübsal zu blasen.