Ich erinnere mich gut an den Januar 1997. Ich war 19 Jahre alt, Besitzerin einer riesigen Zahnspange und seit einem halben Jahr unterwegs im Berufsleben.
Opas Krebserkrankung war allgegenwärtig. Ich wartete auf seinen Tod. Sehnsüchtig. Er litt. Ich war nicht fähig, ihn zu besuchen. Erinnerte mich an den Spruch: Behalt ihn so in Erinnerung, wie er sein Leben lang war.
Ich bereue es heute. Vielleicht hätte er in jenen Tagen meiner Anwesenheit bedurft. Wir haben uns immer umarmt, wenn ich das Haus verliess. Er war knochig. Am Ende war er fast zerbrechlich.
Omi wuchs in jener Zeit über sich heraus. Sie war standhaft und ruhig. Der Fels in der Brandung. Omi konnte nichts und niemand erschüttern. Sie war an seiner Seite und im Gegensatz zu mir weinte sie nicht. Sie erledigte nach seinem Tod, der nicht eben schön war, alle Angelegenheiten, so als hätte sie nie etwas anderes getan.
Die Beerdigung fand an einem sonnigen, kalten Tag im Januar statt. Opis Sarg wirkte klein. An die goldenen Blüten auf der Seite der Holzkiste erinnere ich mich noch immer. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er da drin lag. Ich erwartete jeden Moment, dass er einfach um die Ecke kommen würde. Rauchend. Fluchend. Die klaren blauen Augen auf uns gerichtet.
Doch Opi blieb weg.
Erst einige Tage nach der Beerdigung weinten wir gemeinsam. Seine Stimme fehlte. Sein leiser Schritt auf der Holztreppe. Der Keller war plötzlich unbelebt.
18 Jahre und einen Monat später werden wir im Haus leben. Mein Opi hätte bestimmt Freude dran.
Darauf wette ich! Er würde nicht, er wird, denn er sieht Dir bestimmt von irgendwo zu. Dein Opi-Schutzengel. Und übrigens: Ob man jemanden in den Tod begleiten will, oder nicht, ist jedem selber überlassen. Damals, in dieser Situation, war für Dich genau das richtig, was Du getan hast. Heute würdest Du es vielleicht anders machen, aber heute ist die Situation und die Gegebenheit auch anders. Keine Angst, der Intuition steuert uns in der Regel richtig. Ich habe meinen Opa begleitet und ich kann Dir sagen, dass ich bis heute (und es ist nun 15 Jahre her und ich bin 48-jährig) dieses verzweifelte Gesicht nicht vergessen kann. Dieses Gesicht, dessen Augen mir sagten „ich will noch nicht gehen“ und dessen Ausdruck derart verzerrt war, dass ich es fast nicht mehr erkennen konnte. Man kann sich also streiten, was nun besser ist. Schöne Geschichte von Dir! Dein Opi wird sich sicher darum kümmern, dass ihr euch in seinem Haus wohlfühlt! 🙂
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