Wir waren uns lange nicht nahe, meine Mutter und ich.
Als Kind war sie mein Ein und Alles. Sie war die schönste Frau der Welt. Sie besass langes, dunkelbraunes Haar. Ich hätte mir nie vorstellen können, sie einfach zu verlieren.
Dabei verlor ich meine Mutter im September 1979. Ich war gerade zwei Jahre alt. Ich erinnere mich an ihre Schwangerschaft. Wie sie meinen Bruder in sich trug, wie sie mich immer wieder fröhlich dazu aufforderte, meinen Kopf an ihren prallen Bauch zu legen. Seltsam. Ich erinnere mich noch heute an die Tritte in ihrem Bauch. Es war für mich einziges Wunder. In meiner Mutter lebte ein Mensch. Irgendwann würde er ausserhalb ihres Bauches und mein Geschwisterchen sein.
Als er zur Welt kam, wurde ich von Omi gehütet. Die Stimmung war feierlich. Sie freute sich und ich vermute mal, sie wäre am liebsten selbst bei seiner Geburt dabei gewesen.
Die Geburt meines Bruders löste aber auch Angst in mir aus. Meine Mutter war einfach weg. Ich sehe noch heute die Wohnung vor mir. Ohne Mutter war sie leer.
Und dann war mein Bruder plötzlich tot.
Mit einem Mal war Omi wieder da. Sie lachte nicht mehr. Doch sie gab sich alle Mühe, mich nicht zu spüren zu lassen, dass für alle in der Familie eine Welt zusammen gebrochen war. Omi wurde mein Anker. Solange sie da war, brauchte ich keine Angst zu haben.
Ich sehe meine Mutter heute noch vor mir, wie sie in jenem dunkelgrün gekachelten Bad auf dem WC sitzt und heult. Ich kenne dieses Heulen. Es ging mir gleich, als sie starb.
Meine Mutter war damals 28 Jahre alt. Mein Bruder starb einige Tage nach ihrem Geburtstag. In diesem Jahr bin ich zehn Jahre älter als meine Mutter damals. Im Gegensatz zu ihr habe ich keine Kinder geboren. Aber mit schmerzlichem Verlust kenne ich mich bestens aus.
Meine Mutter zu verlieren, ihrem Sterben zuschauen zu müssen, hat mich geprägt. Mir schien 2007, als würden mindestens sieben Zwiebelhäute meiner Seele abgerissen. Kein Stein blieb auf dem anderen. Omi jedoch war an meiner Seite. Wir hielten uns an den Händen, als ihre Tochter starb.
Doch ich denke vorwärts. Irgendwann geht Omi auch. Dann ist mein Fels gänzlich verschwunden.
Die letzten zwei Sätze…. I feel you… *Träne wegwisch* 😦 ❤
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Dein Fels wird nie ganz weg sein… Du hast ihn Dir mit Eurem Haus erhalten.
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Ich habe einen Kloss im Hals, wenn ich Deine Worte lese.
Aber auch wenn Deine Omi eines Tages, diese Erde verlässt, wird sie Dir ganz viel hierlassen, dessen bin ich mir sicher. Du wirst in Situationen von ihr gelenkt werden, ohne zu wissen, dass Du von ihr gelenkt wirst. Weil ihr Vermächtnis tief in Deiner Seele wohnt.
Bewegte Grüße
Lebenswanderin
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Die kraft und liebe leben in dir weiter. Ein sehr berührender text. Danke.
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