Warum Trauern kein „Quatsch“ ist.

Vor einem Jahr starb der erste Mensch an Corona in der Schweiz. Seither ist viel passiert. Über 9300 Menschen sind bis heute (5.3.2021) verstorben.

Der Tonfall in diesem Land hat sich verändert. Da sind die einen, die finden „Hey, die waren alt und eh am Ende des Lebens. Ist halt so.“ Und dann sind die da die anderen, die irgendwie das Leben wichtig finden, egal wie alt jemand ist. Ich zähle mich zu den letzteren. Ich bin der Meinung, dass ein Mensch auch hochbetagt oder erkrankt ein Recht auf Leben hat.

Das klingt jetzt vielleicht heftig. Aber es drückt das aus, was mir seit Monaten durch den Kopf geht: Ich bin genauso Corona-müde wie ihr anderen alle auch. Aber für mich ist es nicht einfach damit getan, alte und kranke Menschen weg zu sperren oder zu denken, die Impfung tut dann irgendwann schon den Rest. Ich weigere mich, anderen Menschen ihr Recht aufs Leben abzusprechen, nur weil ich mich in meinen Shopping-Lüsten eingeschränkt sehe. Oder ganz allgemein, sich einen Dreck um all jene zu foutieren, denen es aufgrund der Pandemie verschissen geht und ihnen die finanzielle Hilfe zu verweigern. Das überlasse ich sehr gerne gewissen PolitikerInnen in Bern. Denn offenbar ist Empathie in diesem Business nur hinderlich.

Ich blicke mit den Augen der Trauernden auf Corona. Mein Vater ist nicht an Covid19 gestorben. Aber traurig war dieses Jahr allemal. An seiner Beerdigung durften zwar bis 50 Menschen teilnehmen, aber das gemeinsame Trauern konnten wir nicht leben. Es gab kein Fest, kein sich fröhliches, gemeinsames Erinnern an ihn. Keine Umarmungen. Kein Streicheln. Vielleicht kann man einfach nicht auf Distanz zusammen trauern.

Ich schätze mich glücklich, denn wenn ich mir vorstelle, wie schrecklich es im Frühjahr 2020 gewesen sein muss, seinen liebsten Menschen zu beerdigen, wird mir übel. Das Loslassen, das Trauern, ist so wichtig. Vielen wurde es verwehrt. Dabei ist der Abschied nötig, um sein eigenes Leben gesund weiter zu leben.

Heute mittag läuteten die Glocken. Ich hielt inne und dachte an all die Menschen, die in diesem Jahr ihr Leben verloren haben, obwohl sie noch Wünsche und Träume und Liebe für die Zukunft in sich hatten. Ich dachte an jene Menschen, die von ihren Verstorbenen nicht angemessen Abschied nehmen konnten, an die Tränen, die geflossen sind oder eben vielleicht nicht. Ich dachte an jene Angehörigen, die ihren Sterbenden gar nicht mehr oder auf der Intensivstation besuchen konnten und schlimme Bilder in sich tragen. Ich dachte auch an meinen Vater, an dieses vermaledeite, verlorene Jahr.

Dann öffne ich Twitter und lese, wie sich Menschen über diese 10 Minuten Trauer lustig machen und sie als Quatsch bezeichnen. Ich bemerke, wie ich nicht mal mehr wütend werde, sondern den Kopf schüttle, über soviel Herzlosigkeit und emotionale Kaltschnäuzigkeit. Doch dann denke ich an all jene, die mit anderen trauern, die fähig sind, Mitgefühl zu zeigen. Diese Kraft rührt mich. Dieser Trost, der zwar nicht im RL gelebt werden kann, sondern in Worten ausgedrückt wird, ist wunderschön und lässt mich hoffen.