Montag

Seit heute morgen vier Uhr lebt Omi nicht mehr.
Verstanden habe ich es wohl. Aber glauben konnte ich es nicht.
Mein Herz tut sehr weh.
Ich ziehe meine schwarzen Kleider an, die bereit gelegt im Schrank auf mich warten.

Wir fahren ins Pflegeheim. Dort werden wir von den Pflegenden empfangen.
Ich brech in Tränen aus, als ich Omis Gedenktischchen erblicke.
Auf dem Foto blickt sie lachend in die Kamera.
Daneben liegt ihr roter Rosenkranz, ihr Brillenetui und mein Buch.
Ach Omi, denke ich.

Die Pflegende tröstet mich.
Sie umarmt mich, derweil ich an ihrer Schulter weine.
Dabei gibt es keinen Trost.
Sie begleitet uns hinauf zu Paulas Zimmer.
Sie sagt: „Ihr Omi sieht wunderschön aus.“

Wir treten ins das Zimmer, wo wir die letzte Woche so viel Zeit verbracht haben. Omi liegt, gekleidet in ihren dunkelblauen Blazer, ihre weisse Bluse und mit einem ihrer bunten Halstücher, da. In ihren gefalteten Hände hält sie ihren schwarzen Rosenkranz. Das Zimmer riecht nicht nach Tod.
Als ich Omi so daliegen sehe, fliessen meine Tränen.
Sie sieht so friedlich aus.
Ich berühre Omis Hände. Sie sind kalt.

Ich lege einige Gegenstände auf ihr Bett. Den Schutzengel, ein Plüschtier, eine rote Rose, das Foto von Röteli und eines von mir. Immer wieder berühre ich ihre Hand, weil ich begreifen will und muss, dass sie mich nie mehr anlächelt, nie mehr umarmt und nie mehr meinen Namen sagen wird.
Ihre letzten Worte an mich fallen mir ein:
„Aber warum bist du denn traurig?“

Dann setze ich mich wieder auf den Stuhl. Ich weine.
Aber mit der Zeit werde ich ruhiger.
Ich drücke Omis Plüsch-Sennenhund, den ich ihr vor langer Zeit geschenkt habe, an mich.
Sie hat ihn immer Barri genannt.

Omi liegt friedlich da. Sie sieht aus, als ob sie jeden Moment den Bus besteigt und einkaufen geht. Nur ihre dunkelblaue Tasche fehlte noch. Immer wieder gehe ich zur hin und berühre ihre Hand. Dann spüre ich plötzlich, dass es gut ist. Ich verabschiede mich von ihr mit einem letzten Kuss auf die kühlen Wangen und streichle ein letztes Mal ihr liebes Gesicht, ihr Haar.

Die Pflegende informiert mich danach, dass am Nachmittag der Arzt kommt um den Totenschein auszustellen und danach der Schreiner mit dem Sarg. Nun muss ich nur noch einmal hierher kommen und ihre Sachen abholen. Die Beerdigung muss ich ebenfalls organisieren, aber ich glaube, das kommt gut. Ich bin so froh, dass Omi und ich all die Jahre über den Tod gesprochen haben, so dass ich jetzt glasklar weiss, was zu tun ist.

Die Pflegende erzählt mir, dass auch sie alle Omi sehr vermissen.
„Sie war so ein Sonnenschein“, sagt sie.
„Wenn es manchmal am Esstisch sehr still war, weil alle den Kopf hängen liessen und traurig waren, fing Paula einfach an zu singen: Det äne am Bergli, döt stoht e wiisi Geiss! Ich ha sie welle mälche, do haut sie mir eis!
Und alle lächelten wieder. Ihre Omi wollte, dass andere Menschen sich freuen und nicht niedergeschlagen sind.“