Handarbeit. Herzarbeit.

In meiner Familie mütterlicherseits wurde Handarbeit seit Generationen gepflegt und gelebt.

Mein Urgrossvater Henri arbeitete in einem Spinnerei-Betrieb im Toggenburg, ebenso wie meine Stief-Urgrossmutter Rosa. Im Estrich zeugen mehrere alte Strickmaschinen vom privaten Interesse meiner Urgrosseltern an diesem Handwerk. Gewisse alte Schränke sind voll mit Stoffen und Fäden. Nadeln, Borten, Spitzen, alles ist im Haus meiner Familie zu finden.

Auch mein Grossvater Walter arbeitete in der Textilbranche. Von ihm habe ich jede Menge technischer Bücher über Webmaschinen und Schnittmuster vererbt bekommen.

Meine Oma Paula war und ist nicht besonders handwerklich begabt. Nein, sie mochte nie Handarbeiten. Ihre Qualitäten lagen in der Kommunikation und der Herzlichkeit ihres Wesens.

Wenn ich an meine Mutter denke, so sehe ich sie auf ihrem Sofa sitzend, umgeben von Wollknäueln, Nadeln und Mustern. Sie liebte es zu häkeln. Riesige Decken aus Wollresten hat sie angefertigt und verschenkt, eine jede ein Kunstwerk mit viel von ihr gemacht.

Ich muss daran denken, was sie alles ausprobiert hat. Sie konnte Kleider nähen, Patchwork, Socken und Pullover stricken, Deckchen häkeln. Sie war so geschickt. Sie liebte Farben über alles.

Als meine Mutter im Spital und später im Pflegeheim lag, strickte sie Babysocken. Sie konnte nicht damit aufhören. Sie hatte vor über dreissig Jahren damit angefangen. Das Muster konnte sie längst ohne Vorlage stricken. Sie sass in ihrem Bett und schaute auf ihre Arbeit. Dann sagte sie:

„Zora, wann strick ich für dich Babysocken? Wann kriegst du ein Kind? Wann machst du mich zur Grossmutter?“

Was hätte ich sagen sollen? Nie? Mutter, du stirbst?

Ich schwieg.

Vor ein paar Tagen räumte ich mein Nähzimmer auf. In einer Kiste stiess ich auf die hellblauen Babysocken. Sie sind noch immer nicht vollendet Ich musste mich setzen. Sieben Jahre ist sie tot. Ich weine.

Ein Gedanke zu “Handarbeit. Herzarbeit.

  1. Ich habe noch heute eine Wolldecke, die meine Grossmutter mit damals 102 Jahren aus selbstgestrickten Quadraten genäht hatte. Sie liebte es, zu stricken, so lange sie irgendwie dazu in der Lage war. Die Augen wurden irgendwann schlechter, die Hände hatten weniger Kraft, da wurde es weniger. Aber bis dahin strickte und stickte und nähte sie wacker. Sie war eine kluge, positive, lebenserfahrene Frau. Geblieben sind mir zwei Dinge. Ihre Liebe zur Waschmaschine, die sogar an der Beerdigung erwähnt wurde. Sie liebte diese Maschine und wusch, so lange sie konnte, weil sie den Komfort, die Wäsche nicht mehr übers Brett ziehen zu müssen, sondern einfach in eine Maschine stecken zu können, toll fand. Und ihren Ausspruch: „Mir geht es gut! Denn wenn ich sage, es geht mir schlecht, geht es mir dadurch nicht besser. Und es geht mir wirklich gut.“ Eine wunderbare Frau. Sie starb leider vor 6 Jahren mit immerhin stolzen 106 Jahren. Eine Frau, die viel gesehen, viel erlebt, viel durchlitten, durchgestanden hat und dabei immer positiv, gewitzt, mit Schalk im Nacken blieb.

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