Der Sonntag war immer ein besonderer Tag in der Woche.
Als ich noch ein kleines Mädchen war, ging ich jeden Sonntagmorgen in die Sonntagsschule.
Dies habe ich nicht auf Druck meiner Eltern getan, denen war das egal, sondern weil ich (auch heute noch) fürs Leben gern Geschichten höre.
In der Sonntagsschule wurden einem diese von Frauen erzählt.
Meine Lieblingslehrerin war eine alte Dame mit Dutt, Alice, deren liebes Gesicht ich noch heute vor mir sehe. Sie erzählte die biblischen Geschichten alle auswendig.
Am Sonntagmittag kochte meine Mutter, wenn mein Vater da war, ein Festmahl, meistens Voressen mit Teigwaren und Gemüse. Wenn aber mein Vater nicht da war, kochte meine Mutter „schlampiges“ Essen. Das war immer wunderbar. Wir sassen dann mit ihr auf dem Teppich vor dem Fernseher, assen im Schneidersitz und lachten. Danach schauten wir fern.
Dazu ist zu sagen, dass meine Mutter ein wandelndes Filmlexikon war zu einer Zeit, da es noch kein Internet gab. Mehr als einmal habe ich Wetten gegen sie verloren. Ihr Namensgedächtnis war einfach grossartig.
Sonntags schauten wir mit ihr alte Filme. Hans Moser, Paul Hörbiger oder Grete Weiser. Das waren unsere Helden. Ich schaute mit ihr Klassiker, B-Movies, Serien. Mit ihr fern zu sehen, war eine Offenbarung. Sie liebte Fernsehen und ich liebte meine Mutter.
Als ich ins Welschland ging, ich war 16, zerbrach die Ehe meiner Eltern vollends.
Mir war, als wäre ich die personifizierte Silikonschicht, die meine Mutter und meinen Vater noch verband.
Danach waren die Sonntage anders. Die Kindheit scheint ein zerbrechliches Gut zu sein.
Als ich schliesslich die Sonntagabende mit meinem damaligen Freund verbrachte, war meine Mutter wieder präsenter. Sie rief jeden Sonntagabend um punkt 19.31 an und wollte mit mir reden.
Dass ich um diese Zeit Terra X schaute, war ihr egal.
Als sie vor bald sechs Jahren starb, brauchte ich sehr lange Zeit, bis ich am Sonntagabend nicht mehr neben dem Telefon sass und auf ihren Anruf wartete. Schliesslich war es 19.31.