Jahresrückblick 2014

Dieses Jahr war wirklich eines der besten, an die mich erinnern konnte. Den ganzen Frühling über arbeitete ich wie eine Verrückte an meinem Buch „Lavinia Morgan“. Ich bestellte das Land ums Haus herum. Im Februar erhielt meine Omi einen Beistand. Das war für mich eine riesige Entlastung, denn Herr H. kümmert sich nicht nur um ihre finanziellen Angelegenheiten, sondern besucht sie auch regelmässig.

So wurde im Februar meine Kaufabsicht eingeläutet und eine lange Zeit des Wartens, der Unsicherheit für mich und des Entrümpelns begann.

Im April reisten Sascha und ich nach Paris. Diese Stadt hat uns so sehr gefallen. Wir wurden süchtig! Einige Tage später aber wurde unser beider Leben auf den Kopf gestellt. Ich erhielt eine Mail vom Grimme-Institut und erfuhr, dass ich für einen Grimme-Online-Preis nominiert war.

Ich buchte Flüge nach Köln, das Hotel und wusste nicht, wie mir geschah. Dann wurde es Mai, wir reisten von Friedrichshafen aus und ich sah zum ersten Köln.

Die Nominierungsfeier war grossartig und ich begriff zum ersten Mal, was hier gerade passierte. Ich bemerkte, in welcher Gesellschaft ich mich befand und was „Demenz für Anfänger“ ausgelöst hatte. Indies, am gleichen Abend flog ich zurück. Am selben Abend erfuhr ich, dass Omi gestürzt war und sich schwer verletzt hatte. Das grossartige Gefühl von Köln machte einer unglaublichen Angst Platz. Wenn sehr alte Menschen stürzen und sich verletzen, ist es oft keine Seltenheit, dass sie daran sterben. Das wollte ich nicht. Nicht jetzt!

Ich besuchte Omi im Spital, ärgerte mich über die medizinische Versorgung und den herzlosen Umgang mit Demenzpatienten. Ich war heilfroh, dass Omi nach einer Woche wieder in „ihr“ Pflegeheim gehen konnte. Schon nach einigen Tagen begann sie trotz ihrer schweren Verletzung wieder zu laufen.

Im Juni flog ich an die Verleihung. Ich lernte viele Menschen kennen, Blogger, Medienleute. Ich redete, bis ich heiser war. Ich war nicht traurig, dass ich keinen Grimme gewonnen hatte. Vielmehr war ich in Gedanken bei Omi, dem Haus und dem, was mich im Sommer erwartete. Ich wusste, wenn Omi jetzt stirbt, dann verlier ich sie und auch das Haus. Das belastete mich über alle Massen.

Dass ich in jener Zeit einen Buchvertrag von einem renommierten deutschen Verlag erhielt, schien mir wie die Ironie des Schicksals.

Im Juli begannen Sascha und ich mit der Entrümpelung des Hauses. Wir entsorgten ungefähr eine Tonne Müll in Kehrrichtsäcken und 300kg (bis jetzt) an Sperrmüll. Wir leerten das Haus, verschoben Möbel, begannen mit der Renovation.

In jener Zeit griffen uns mein Vater und seine Frau unter die Arme. Ohne hätten wir den Spagat wohl nicht geschafft. Mein Vater organisierte mir eine Fädelisägiss, einen Rasermäher, einen Helm, usw. Meines Vaters Frau zeigte mir, wie ich die Johannisbeerstauden und die Büsche schneiden muss. Ich machte zum ersten Mal Johannisbeerliqueur. Wir schliefen zum ersten Mal im Haus. Dank Freunden, die mir immer wieder Mut machten, stand ich diese Phase durch. Danke!

Ende Oktober erschien dann mein erstes Buch „Lavinia Morgan“. Ich durfte am Lesefest meiner Verlegerin Fatima Vidal vorlesen und zum ersten Mal Bücher signieren.

Im November dann wurde es ernst und ich ging mit Sascha und Omis Beistand aufs Grundbuchamt und unterzeichnete den Eintrag. Kurz vor Weihnachten stand dann fest: das Haus gehört mir.

Ein weiteres Highlight waren zahllose Interviews und der Besuch bei Kellerschuran in Frauenfeld. Ich bin sehr dankbar für dieses Jahr 2014 und freue mich, wenn ich anfangs 2015 mit Sascha im Toggenburg leben darf.

Mein Tag 1 als Hauseigentümerin

Meine letzte Nacht war unruhig. Von halb drei bis vier Uhr lag ich wach, unfähig, irgendwie das Tor zum Schlaf zu finden. Ich hasse solche Nächte, denn ich weiss genau, dass ich um fünf Uhr todmüde bin und nur noch schlafen will.

Dabei war heute der grosse Tag. Endlich.
Wir fahren ins Toggenburg. Zum Haus. Unserem baldigen.
Wir treffen Omas Beistand, lesen im Haus den Stromzähler ab.
Dann der Gang ins Gemeindehaus.

Ein sehr seltsames Gefühl befällt mich. Oma kann nicht hier sitzen, um mir das Haus zu verkaufen. Denn für sie spielt es wohl keine Rolle mehr. Sie lebt im Hier und Jetzt. Der Beistand vertritt Oma.
Mir ist nicht unwohl, doch mir wird die Bedeutsamkeit des Moments sehr bewusst. Ich stehe an diesem einen Ort, wo schon mein Urgrossvater vor sechzig Jahren den Kauf des Hauses absegnen liess. Das Haus ist seit 1955 in meiner Familie Besitz geblieben und wurde weiter vererbt.

Ich sehe die Glasscheiben mit den Kantonswappen.
Hat mein Uropa Henri hier die Geburt meiner Grosstante und meines Grossvaters gemeldet? Ist hier im Haus der Tod meiner Urgrossmutter verbucht?
Ich denke plötzlich an meine Mutter, die auf dem Friedhof des Städtchens liegt. Würde sie sich freuen?

Ich fühle mich noch seltsamer. Wir treten in einen Saal. Es wird feierlich. Ich habe Mühe, meine Tränen herunterzuschlucken.
Ich muss dran denken, dass ich seit neun Monaten auf diesen einen Moment gewartet habe. Dass ich mir nicht vorstellen konnte, dass ich jemals im Haus würde wohnen können. Mir fallen meine Albträume ein. Das Haus. Abgerissen. Verlassen. Traurig.

Doch nun ist der 11.11.14 gekommen. Ich werde willkommen geheissen. Zum ersten Mal in meinem Leben begrüsst mich jemand in einer Gemeinde und sagt: „Wir freuen uns auf Sie“.
Ich sitze da um 9.15 und unterschreibe den Vertrag. Nothing to add.

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der 11.11.

Morgen ist es also soweit. Wir haben – ENDLICH! – unseren Termin auf dem Grundbuchamt. Ich kann nicht ausdrücken, wie ich mich fühle. Es ist etwas zwischen Glück und Nichtglaubenkönnen.

Es ist für mich ein grosser Schritt. Wahrscheinlich bin ich noch nie in meinem Leben eine derart verbindliche Beziehung eingegangen. Vor dem Heiraten und dem Kinderkriegen hab ich mich erfolgreich gedrückt. Aber die Sache mit dem Haus ist ernst. Ich will! Ja!

Die letzten Nächte habe ich sehr bewegt geträumt. Jede Nacht war ich am Schleifen, am Kisten packen und tragen. Ich schippte Schnee. Ich kletterte auf dem Dach herum. Ich schlug mich mit grossen Spinnen. Wenn ich aufwachte, war ich todmüde.

Morgen gilt es also ernst. Eine Unterschrift setzen.
Fast 60 Jahre nachdem Henri und Röös unterschrieben haben, fast 18 Jahre, nachdem Omi Paula das Haus von meinem Opi Walter geerbt hat.

Ich hab mir natürlich überlegt, ob es eine gute Idee ist, in ein Haus zu ziehen, das so alt ist. Doch wenn ich mich an früher erinnere, weiss ich, dass im Haus keine Angst zu haben brauche. Das Haus war da, bevor ich da war. Es stand fünfzig Jahre, bevor mein Uropa Henri geboren wurde, da. Und wahrscheinlich steht es noch immer da, wenn ich nicht mehr bin.

Geburt.

Gestern ging das Zahlungsversprechen unserer Bank ans Grundbuchamt. Am Dienstagmorgen haben wir den Termin auf dem Grundbuchamt für die Grundstückverschreibung. Was trocken und nichtssagend klingt, bedeutet für Sascha und mich, dass wir nach bald neun Monaten (endlich!) unser Haus haben.

Es ist ein wirklich seltsames Gefühl für mich. Ich hänge nicht an Besitz. Aber ein Haus zu haben, bedeutet, dass in einem Buch mein Name eingetragen ist. Es berührt mich sehr, dass ich das Haus von Oma kaufen konnte, fast sechzig Jahre, nachdem meine Urgrosseltern es erworben haben.

Ich bin aber auch seltsam leer. Die neun Monate Warten haben mich zermürbt. Mehr als einmal war ich am Ende. Tausend dunkle Gedanken, warum ich das Haus nicht kaufen kann, schwirrten mir durch den Kopf. Ich hätte nie gedacht, dass mich diese Sorgen um den Schlaf bringen. Wenn ich im Haus war, habe ich jeweils zum Abschied gesagt: „bitte warte auf uns“. Ich strich über seine Wände, den Verputz. Fast jeden Zentimeter kenne ich mittlerweile. Ich sehe die verblassten Farben. Die Holzböden. Die Werkstatt, die einmal mein Büro werden soll.

Gestern abend, als ich nach Hause kam, schaute ich mir das Familienfoto an, das ca. 1979 entstand. Meine Mutter war wohl mit meinem Bruder schwanger. Ich entnehme das ihrem strahlenden Gesicht. Omi Paula muss gerademal fünfzig Jahre alt gewesen sein, Henri war achtzig, meine Eltern Ende zwanzig. Ich schaue das Bild an und stelle mir vor, was sie dazu sagen, dass ich jetzt bald da wohnen werde. Henri und Röös, mein Opa Walter. Sie alle haben in dem Haus gelebt und sind darin gestorben.

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Ich freue mich so darauf, dass ich das Haus wandeln darf. Dass meine Bücher dort in Regalen stehen werden, meine Katze durchs Haus läuft und nach dem Rechten sieht. Dass Sascha ein Büro mit Blick auf die Strasse bezieht und trotzdem das Rauschen des Baches hört. Der Garten. Die Bäume. Singvögel. Ich freu mich darauf, dass ich im Frühling die Tulpen wachsen sehe. Die Krokusse. Im Sommer die Rosen. Dass ich Johannisbeerlikör machen werde. Grillieren auf der Terrasse. Eine neue Gartenbank vors Haus. Ich werde unser Haus öffnen. Das Haus ist nicht gemacht zur Einsamkeit.